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Landtags und des Monarchen ein Gesetz zustande kommt, so liegt hierin
ausschließlich eine Ausübung der finnischen Staatsgewalt, und wenn der
Kaiser und Großfürst, innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit, eine
Verordnung erläßt, so kommt ebenfalls ein Akt des finnischen Staatswillens
zustande. Russischen Staatsorganen kann der Monarch keine ihm als Groß-
fürst von Finnland zukommende Befugnis abtreten oder übertragen“ (Erıca,
8. 61) 8.
Bis zum Jahre 1899 ist auch tatsächlich Finnland staatsrechtlich von
Rußland durchaus so behandelt worden, wie es den oben skizzierten Grund-
sätzen entsprach. Mit jenem Jahre aber setzte jene, durch eine Summe
von Verfassungsbrüchen charakterisierte und nur während der Revolutions-
jahre kurze Zeit unterbrochene Reaktionspolitik ein, die auf Vernichtung
der Autonomie Finnlands gerichtet, ihren schärfsten Ausdruck (außer in der
Behandlung der Wehrpflichtsfrage)? in dem sogenannten „Journal“ des rus-
sischen Ministerrates vom 2. Juni 1908 in Verbindung mit dem russischen
Gesetz vom 17./30. Juni 1910 gefunden hat. Von diesen setzt ersteres den
russischen Ministerrat in allen zugleich russischen Angelegenheiten unter
Ausschaltung auch des finnischen Ministerstaatssekretärs an Stelle des fin-
nischen Senats, während letzteres alle die Interessen des Reiches be-
rührende Gesetzgebungsangelegenheiten Finnlands der Kompetenz der ru s-
sischen Gesetzgebung zuweist. Daß beide, staatsrechtlich betrachtet,
nichtig und bedeutungslos sind, ist von zahlreichen bedeutenden Schrift-
stellern, wie auch von dem protestierenden finnischen Landtag mit aller
Klarheit dargetan worden — die Antwort war das russische Gesetz
vom 24. Januar/6. Februar 1912, das — entgegen der bisherigen Ordnung
der Dinge — die Untertanen Rußlands!° den Finnländern in Finnland völlig
gleichstellt, den Eintritt von Russen iu den finnischen Staatsdienst aus-
drücklich gestattet und finnländische Beamte, sowie Inhaber öffentlicher
Funktionen überhaupt mit Geldstrafen, Arrest oder Gefängnis bis zu einem
Jahr und vier Monaten, eventuell auch mit Amtsverlust bedroht, die diesem
russischen Gesetze, das zweifellos juristisch ungültig ist, zuwider zu han-
deln wagen !!,
8 Vgl. auch Gerz S. 19; dort auch (S. 37) Widerlegung der Aufassung
GEORG JELLINEKs: Finnland = Staatsfragment.
®° Darüber Erıcn, S. 147—149; BORNHAK 50—57; Die finnländische
Frage im Jahre 1911, S. 34—52.
10 Es nennt sich bezeichnenderweise Gesetz über „die Gleichstellung
übriger [sic!] russischer Untertanen mit den finnischen Staatsbürgern‘.
‚ *! In Anwendung dieses Gesetzes, nach dem die „Schuldigen* vor rus-
sischen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen und die Freiheitsstrafen in
russischen Strafanstalten zu verbüßen sind, wurden seit Herbst 1912
eine größere Anzahl finnischer Beamten zu mehrmonatlichen Gefängnis-
strafen von russischen Richtern verurteilt.