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SS 1, 2 RE. Wollte daher eine der religiösen Kindererziehung
entwachsene, aber noch minderjährige Person ihren Glauben wech-
seln oder eine volljährige Person unter Außerachtlassung der per-
sönlichen Erklärungsabgabe ($ 10 RE.), so würde der Staat eine
solche Person in allen kirchlichen Beziehungen noch als Mitglied
der verlassenen Kirchengemeinde behandeln, besonders in Ansehung
der Stolrechte, der kirchlichen Umlagepflicht und etwaiger An-
sprüche auf Stiftungsgenuß, vgl. ME. v. 11. 1. 1844 (WEBER III
929), aber unter Berücksiehtigung der proklamierten Glaubens-
und Gewissensfreiheit anerkennen, daß ein solcher Konvertent zur
ferneren Teilnahme an den Religionsübungen der früheren Glau-
bensgemeinschaft ebensowenig genötigt werden kann, wie er von
der Teilnahme an den Religionsübungen der neugewählten Kon-
fession abgehalten werden darf; vgl. AE. v. 26. IV. 1845 (WEBER
III 580), ME. v. 6. III. 1378 (GÜNTHER I 93).
4. Nach der vorgefundenen Zuständigkeitsausscheidung ver-
steht es sich von selbst, daß der Staat die Schlichtung von
Streitigkeiten anläßlich einer freienGlaubens-
wahl ebenfalls in die Hand nahm. — Er hat aber die Anfech-
tung einer Glaubenswahl nicht als Verwaltungsrechtssache oder
Verwaltungsstreitsache geregelt. Vielmehr ist von der Verfassung
selbst ein eigenes Verfahren aufgestellt: Bei Anfechtung einer
Glaubenswahl hat die Kreisregierung den Fall zu untersuchen und
an das Kultusministerrum zu berichten, das die Entscheidung
trifft und gegebenenfalls den Glaubenswechsel für unzulässig er-
klären kann; PILOTY-SUTNER, $ 9 RE.
Bei Handhabung des $ 9 RE., wonach zur Anfechtung der
Glaubenswahl jene, welche die religiöse Erziehung zu leiten haben,
berechtigt sind, macht die bayerische Verwaltungspraxis der Kirche
das Zugeständnis, daß sie denjenigen, welche die religiöse Er-
ziehung: zu leiten haben, neben den eigentlichen Trägern der Er-
ziehungsgewalt auch die Inhaber der Pfarrämter und Seelsorge-
stellen zuzählt, da vornehmlich diese Personen die Leitung und