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Intervention zum Zwecke der Selbsterhaltung, die sonst allgemein als Fall
erlaubter Einmischung aufgefaßt wird, und Intervention im Interesse der
Erhaltung des Gleichgewichts 1, während er ohne erschöpfend sein zu wollen,
6 Fälle völkerrechtsgemäßer Intervention anerkennt. Von ihnen werden
Einmischung des Suzeräns in gewisse Angelegenheiten des Vasallen, Ein-
mischung auf Grund entsprechender Stipulation, Einmischung auf Grund eines
Garantievertrages mit dem garantierten Staat sowie auf Grund des den Staaten
zustehenden Schutzrechts über ihre Angehörigen wohl ohne weiteres gebilligt
werden können. Weiter will aber OPPENHEIM auch im Falle der Verletzung ei-
nes durch Gewohnheit oder Kollektivvertrages anerkannten Völkerrechtssatzes
den übrigen Staaten ein Interventionsrecht gewähren. Es wäre demnach
ein Einschreiten gegen den Vertragsgenossen z. B. dann zulässig, wenn dieser,
den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung zuwider, im Kriege Dum-
dumgeschosse verwendete ?. Ist das richtig, so muß eine Intervention auch
dann gestattet sein, wenn in einem Abkommen keine Rechtssätze, sondern
andere Verpflichtungen enthalten sind. Das meint wohl auch der Verfasser,
wenn er von einem Recht zur Intervention spricht, „if an external affair
of a state is at the same time by right an affair of another State“ (S. 190),
und es als erlaubte Intervention ansieht, wenn England und die anderen
Kontrahenten des Pariser Friedens von 1856 nach dem Frieden von San
Stefano gegen Rußland vorgegangen wären.
Die Ausführungen, die OPPENHEIM bereits in seiner ersten Auflage über
das völkerrechtliche Delikt gemacht hat, und die zu dem besten gehören,
was über diese schwierige Materie bislang überhaupt geschrieben worden
ist, haben noch in verschiedener Richtung Vertiefung erfahren. Insbesondere
hat der Casablanca-Fall, der eingehend dargestellt wird, Veranlassung ge-
ı Wie die Balkanfrage in ihrer neuesten Entwicklungsphase zeigt,
können beide Fälle häufig zusammentrefien. Eine Intervention zum Zwecke
der Selbsterhaltung war, scheint mir, der Einfall Friedrichs II. in Sachsen
im Herbst 1756. Hier lag in der Tat ein Verstoß gegen das Völkerrecht
vor, geboten war aber das Verhalten des großen Königs, wollte er nicht
von seinen Gegnern erdrückt werden. Eine Intervention zum Zwecke der
Erhaltung des Gleichgewichts bedeutet in gewissem Sinn auch der Druck,
den Oesterreich-Ungarn im Anfang des türk.-ital. Krieges auf Italien ausge-
übt hat, um ein Hinübertragen des Krieges auf den Balkan zu verhüten.
Auch jetzt nach den ersten Siegen des Balkanbundes zeigen sich Bestrebungen,
im Interesse der Wiederherstellung des status quo (ameliore) zu intervenieren.
2 Leider läßt OPPENHEIM die Frage unbeantwortet, ob in derartigen
Fällen nur Kollektivintervention gegeben ist oder jeder Staat für sich ein-
schreiten kann. (...,„if a State which is a party to the Hague Regulations
concerning Land Warfe were to violate one of these Regulations, all the
other signatory Powers would have a right to intervene“ S. 191.)