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Wertung nach dem Wert der Leistung für die Förderung der Gesellschaft.
Die Geschichte ist deshalb nicht erklärt mit dem Wechsel der Produktions-
formen, sondern mit dem Wechsel der bei jeder Produktionsform führen-
den, gesellschaftlich fördernden Schicht. Die Ungleichheit der subjektiven
Rechte und der aus den subjektiven Rechten entspringenden subjektiven
Macht hat die Tendenz der Vererbung, die aus der berechtigten Ungleich-
heit zum unberechtigten Herrenrecht und zur Unfreiheit führt, Ein wesent-
licher Teil der Rechtsentwickelung ist die Beseitigung der zum Unrecht
gewordenen, von den Benachteiligten als unberechtigt gewerteten Ungleich-
heit zugunsten einer andern, zuerst gerecht, dann wieder ungerecht wer-
denden Ungleichheit. Das Recht der Gleichheit wird erst möglich sein,
wenn die volle innere Macht der Gleichheit gegeben ist, wenn die Menge
genug innere Werte besitzt, um aus sich selbst, ohne bevorrechtete Herren,
den Vorteil der kleinen Zahl zu finden. „Vielleicht ist (der Maßstab der
Gerechtigkeit) darin zu finden, daß ein Recht durch die Werte, die es ent-
faltet, auf dem geschichtlichen Wege zur Gleichheit weiterführt.“
Das Streben auf Ausgleichung der als ungerecht empfundenen Ungleich-
heiten, auf Befreiung von den als solche empfundenen Unfreiheiten, die in
den einzelnen Rechtsunterworfenen lebendigen Wertungen der überkommenen
Zustände werden bei dieser Betrachtung zur Triebfeder der Rechtsentwicke-
lung, der Rechtsbildung, die sich in massenhaften dem Rechtsgefühl jeweils
entsprechenden Bestätigungen vollzieht, bis ein Akt der Gesetzgebung oder
beim Gewohnheitsrecht die richterliche Anerkennung sie abschließt. Die
in den einzelnen lebendigen Wertungen bestimmen so das Recht und geben
jedem Abschnitt der Rechtsentwickelung das Gepräge.
Von dieser Lehre der Abhängigkeit des Rechts von der Anerkennuug
durch die Masse der Rechtsunterworfenen aus findet WIESER die Möglich-
keit, zur Einschätzung der Arbeiterbewegung unserer Tage. Sie ist ein-
mal zum Teil berechtigt als Abwehr der Proletarier gegen das, was sie in
unsern gegenwärtigen Zuständen benachteiligt, und als Triebkraft zu aus-
gleichenden Umgestaltungen unserer Rechtsordnung. Andrerseits ist sie
keine Gefahr wegen der in der Bourgeoisie lebendigen Wertungen und, da
„jene Stimmung, die den massenhaften Zuzug der Arbeiter vom Lande in
die Industrie hervorruft, welche ihnen durch ihr gesellschaftliches Werk
Beschäftigung gibt“, „auch zu den Wirklichkeiten des proletarischen Lebens
gehört“. Dieser etwas dunkle Satz WIESERs meint wohl, daß die Bewun-
derung und anerkennende Bewertung des gegenwärtigen Baus der Gesell-
schaft auch in der Proletarierseele, neben der Bewertung der eigenen
Klasse und dem Gefühl ihrer Unterdrückung lebendig ist und dem gegen-
wärtigen Bau der Gesellschaft in der Proletarierseele einen Schutz gewährt.
Zudem ist nach WIESER auch das Proletariat in sich nach dem Gesetz der
kleinen Zahl geschichtet und zur Macht neben den gegenwärtig herr-
schenden Mächten kann nur die kleine Führerschaft im Proletariat, nicht