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Präsenzstandes (Gesetz und kaiserliche Anordnung) einander nicht
koordiniert sind; die erstere geht der letzteren vor. Ist aber eine
der anderen subordiniert, so ist es nur eine andere Ausdrucks-
weise, hierfür zu sagen: Die beiden Artikel der Verfassung wider-
sprechen sich zwar eigentlich, aus dem oder jenem Grunde
ist jedoch dem einen vor dem anderen der Vorrang zu geben.
Ein Anhaltspunkt für eine solche Bevorzugung müßte aber in der
Verfassung selbst gegeben sein. An einem solchen fehlt es jedoch
zweifellos ; wenigstens ist bisher noch keiner nachgewiesen
worden. Durchaus möglich wäre es freilich, wie weiter unten
gezeigt werden soll, daß ein nach der Reichsverfassung er-
gangenes Gesetz, wie z. B. die Friedenspräsenzgesetze, eine aus
der Verfassung entspringende Befugnis beschränkte. Für das
Verständnis der Verfassung ist es aber, wie schon betont, uner-
läßlich, solche Gesetze zunächst aus dem Spiele zu lassen.
Diejenige Spielart der LABANDschen Theorie, die dem Kaiser
inbesonderen Notfällen ein Recht zur Ueberschreitung
der gesetzlichen Friedenspräsenzziffer zuerkennt, leidet an einer
unbegreiflichen Inkonsequenz. Entweder wird der Kaiser be-
schränkt durch Art. 60 oder nicht; ein Mittelding gibt es
nicht, wenigstens nach der Verfassung nicht. Für die Regel
läßt aber auch diese wie die LABANDsche Theorie den Wider-
spruch zwischen der Zuständigkeit des Kaisers und der Gesetz-
gebung bestehen.
B. Zu der gleichenKonsequenz muß aber jede
Theorie führen, die demnach Artikel 60 zuer
lassenden Gesetze organisatorische Bedeutung
beilegt. Daß das Recht des Kaisers aus Artikel 63 Abs. IV
sich auf die Heeresorganisation bezieht, ist klar und unwider-
sprochen. Also muß jede Auslegung des Friedenspräsenzgesetzes,
die auch diesem Verfügungsgewalt für die Heeresor-
ganisation zumißt, zueinem Widerspruch dieses Gesetzes
mit dem Art. 63 führen. Daß wohl ein nach der Reichsver-