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verfassung (welche von der Ausfertigung, Publikation und ver+
bindlichen Kraft der Gesetze handeln) in Widerspruch steht.
Dieser Widerspruch verschwindet aber sofort, wenn man annimmt,
daß Art. 5 RV. vom Eintritt der formellen Gesetzeskraft der
Reichsgesetze d. bh. von dem staatsrechtlichen Zustandekommen
derselben spricht. Zu ihr ist die Ausfertigung und Publikation
nicht erforderlich. Diese Interpretation ist durch den Text der
Reichsverfassung gefordert. Denn einen Widerspruch in dieser
zu beseitigen, ist jede Auslegung nicht nur berechtigt, sondern
verpflichtet. Es soll damit keineswegs die Berechtigung anderer
Interpretationen geleugnet werden, wie z. B. diejenige, daß mit
Artikel 5 hauptsächlich der Ausschluß des Einstimmigkeitserfor-
dernisses, wie dies im ehemaligen deutschen Bunde galt, ge-
meint sei '%.
Die hier vertretene Auslegung, die sehr wohl neben an-
deren Interpretationen bestehen kann, steht aber in vollstem Ein-
klang mit dem oben gewonnenen Resultat und ist auch nach dem
Wortlaut des Art. 5 selbst die natürlichste. Der erste Satz des-
selben bezeichnet als die gesetzgebenden Organe Bundesrat und
Reichstag, nicht den Kaiser. Er spricht also von den gesetz-
gebenden Organen, im engern, eigentlichen Sinn, d. h. von den-
jenigen, von deren freiem Willen das Zustandekommen des Ge-
setzes abhängt, nicht von allen Organen, die überhaupt am Ge-
setzgebungsprozeß beteiligt sind. Der zweite Satz sagt, daß die
Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse der genannten Organe
zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend ist. Welche
Interpretation ist hier naheliegender, als diejenige, daß Art.5 RV.
von dem Zustandekommen des Gesetzes unter den gesetzgebenden
Organen d. h. von der formellen Gesetzeskraft spricht ?
Diese Annahme wird bestärkt durch den Wortlaut der Art. 2
ng,
“ Vgl. LaBanD a. a. OÖ. S. 8, 9. Vgl. auch FRANZ SCHMIDT: Zur Aus-
legung des Art. 5 der Reichsverfassung (Zeitschrift f. d. gesamten Staats-
wissenschaften 1899, 1901, 1902).
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