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hinaus, daß im Deutschen Reiche die südlichen und westlichen Länder die
kulturreicheren, Ostelbien aber noch immer und trotz allem „Kolonisations-
land“ sei, und daß demnach von Rechts wegen die Führung in den deut-
schen Dingen in die Kreise gehöre, welche im Westen und Süden über-
wiegen. Ueber diese bedeutsame Frage mit dem Verfasser zu diskutieren,
ist hier nicht der Ort, zumal darin auch nicht der Schwerpunkt der Schrift
liegt.
Diesen bildet vielmehr das Bekenntnis zur Demokratie mit parlamen-
tarischer Regierungsweise, wovon in den $$ 3 bis 8 gehandelt wird. An
diese Darlegungen schließen sich noch einige besondere Abhandlungen an,
über die „staatsrechtliche Stellung der Frau“ ($ 9), über das „Verfassungs-
problem der protestantischen Kirche und die Trennung von Staat und
Kirche“ ($ 10), über den „Ausgleich zwischen Kapitalismus und Sozialis-
mus* ($ 11), über die „Versöhnung von Nationalismus und Internationalis-
mus“ ($ 12) und endlich über den „Staat und die Sozialdemokratie“ ($ 13).
Sca. widmet der Demokratie als Staatsform keine eingehende Unter-
suchung. Der „Volksstaat“ oder „Genossenschaftsstaat“ erscheint ihm als
das Selbstverständliche, aus der ältesten deutschen Geschichte und dem
echten deutschen Wesen von selbst sich Ergebende. Der Feudalstaat des
Mittelalters und der Herrschaftsstaat der Neuzeit sind ihm überwundene
Formen, die dem deutschen Wesen stets fremd waren, und deren Ueber-
windung das dauernde Verdienst und Ergebnis der französischen Revolution
war. Interessant und, wie mir scheint, das Bedeutsamste in der Schrift ist
die Bekämpfung des „deutschen Konstitutionalismus“, der nach ScH. mit
dem demokratisch-liberalen „echten“ Konstitutionalismus nichts zu tun hat
und eine mühsame und ungesunde Abart, eigentlich nur ein absolutistisch-
konservatives Parteikönigtum ist.
Auch wer mit der Rechtfertigung der Demokratie, wie ScH. sie gibt,
sich nicht zufrieden geben kann, muß doch zugeben, daß in dem, was er
unter dem Titel: „Uebergang zum parlamentarischen Regie-
rungssystem‘“ sagt, viel kernige Wahrheit entbalten ist. Er meint, der
deutsche (= unechte) Konstitutionalismus kranke von Anfang daran, daß.
er sich statt auf die Majorität auf die Autorität stütze und er kann nicht
zugeben, daß ein Königtum, welches verfassungsmäßig an die Zustimmung
des Parlamentes in wichtigsten Akten der Gewalt gebunden ist, dann ein
„starkes Königtum“ sei, wenn seine „Regierung über den Parteien“ sich
genötigt sieht, Majoritäten künstlich zu schaffen und Wahlen gewaltsam
zu dirigieren. Auch hat er wohl nicht so unrecht mit dem Vorhalte,
daß vielfach gerade im Wahlbetriebe die Bezeichnung „national“ zu Un-
recht mit „regierungsfrenndlich“ vertauscht worden ist. Unumwunden fordert
ScH. eine demokratische Reichsregierung und Reichsministerien, jenes nach
den Ideen der Paulskirche und Friedrich Naumanns, dieses nach dem be-
kannten Programm der fortschrittlichen Volkspartei, welches diese von der