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lichen Kirchenregiment, wenigstens in allen Fragen des innerkirchlichen
Lebens, kann der protestantischen Kirche zur Genesung verhelfen.“ Nur
ist beizufügen, daß ScH. die „konstitutionelle“ Monarchie vor sich hat. Ein
parlamentarischer König, wie er ihn haben will, gäbe vielleicht einen sehr
guten Oberpriester. Voll sittlicher Kraft sind Scu.s Worte der Empörung
über die Pfarrermaßregelungen jüngsten Angedenkens in den Reihen der
liberalen Theologie. Jener völlige Bruch mit dem landesherrlichen Kirchen-
regiment, den ScH. fordert, klingt dann aus in der Forderung der Trennung
von Staat und Kirche.
Ein übrigens nicht wesentlicher Widerspruch, der der Aufklärung be-
dürfte, scheint mir darin zu liegen, daß ScH. S. 67 sagt: „Ueber Gott gibt
es überhaupt keine Wissenschaft, da man nicht einmal das Dasein Gottes
beweisen kann“, und dann S. 73 dartut, „welche Frucht die Vergeistigung
des Christentums durch die wissenschaftliche Theologie getragen hat“. Hier
bietet sich vielleicht die Brücke, daß es zwar keine Wissenschaft von Gott,
aber eine Religionswissenschaft geben kann.
3. In dem Kapitel über den Ausgleich zwischen Kapitalismus und So-
zialismus wird in lebhaften Farben an der deutschen und teilweise auch
der ausländischen Gesetzgebung gezeigt, wie der Sozialismus in der posi-
tiven Rechtsentwicklung „auf dem Marsche“ ist. In Arbeiterversicherung,
Gemeindesozialismus, Steuerpolitik, Erbrechtsordnung — überall zeigt sich
die Tendenz des Ausgleichs auf Kosten des Kapitalismus und zugunsten des
Sozialismus und die Annäherung an das Ziel, durch soziale Reform der
Gesellschaft und durch eine „allumfassende Fürsorge jeglicher Verarmung
vorzubeugen‘.
Auch hier nun kann der Berichterstatter es sich nicht versagen, sein
Urteil laut werden zu lassen. Das allgemeine Lob auf die Priorität der
deutschen Sozialgesetzgebung ist berechtigt, aber es wird ein Lob nur
bleiben, wenn die deutsche Gesetzgebung auch die Grenzen einhält, die in
der Sache liegen. Die sozialen Auflagen, welche dem Kapital und Eigen-
tum gemacht werden, sind nur so lange von sozialem Wert, als dadurch
die arbeitgebende Kraft des Kapitals nicht gemindert oder zerstört wird.
Auch soziale Wohltaten können zum Unheil werden, und sie werden es
dann, wenn sie dem zu Schützenden den Boden entziehen, auf welchem er
lebt; ein Teil dieses Bodens ist das arbeitgebende Kapital. Ich bin, wie
ich anderwärts dargetan habe, gegen ScH. ($. 83), der Ansicht, daß der
Zwang in der Arbeiterversicherung den Charakter einer Standesversicherung
der Arbeiter nicht abstreifen darf. Auch ist auf einen nicht unerheblichen
statistischen Fehler, der häufig begegnet, hinzuweisen. ScH. spricht (S. 93)
von 60 Millionen, die in der deutschen Zwangsversicherung sich befinden.
Es sind aber nur etwa 27 Millionen überhaupt und etwa 25 Millionen
zwangsweise versichert. Der Irrtum beruht wohl darauf, daß die in dem
statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs angeführten Zahlen getrennt