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Wie sich der Uebergang der Herrschaft nicht durch einen
Rechtsakt, sondern durch eine einfache Tatsache vollzieht (Art. 53),
so befindet sich das besetzte Gebiet auch nicht rechtlich,
sondern nur tatsächlich in der Gewalt des Siegers (Art. 42). Die
Herrschaft des siegreichen Staates ist ein reines Besitzverhältnis®®,
das aber die Quelle wirklicher Rechte ist.
Die alte Regierungsgewalt ist für den Besetzungsbereich
außer Wirksamkeit gesetzt und die Ausübung der Staats-
gewalt steht beim besetzenden Staat.
„Ausübung“ der Staatsgewalt: das ist der Inhalt des Be-
setzungsrechts *°, wie die Voraussetzung für den Effektivcharakter
der Besetzung °'. Aus dieser Wesensbestimmung des Besetzungs-
rechts als Ausübung der Staatsgewalt ergibt sich ohne weiteres,
daß die dem Völkerrecht entsprechenden Rechtsgeschäfte, Ver-
waltungshandlungen und Urteile nach dem Aufhören der Be-
setzung keineswegs als nichtig behandelt werden dürfen.
Das Recht zu Anordnungen ist freilich auf die Dauer der
Besetzung beschränkt, aber die Wirkungen der Anord-
nungen sind zeitlich unbeschränkt. Hier kann
man mit einer kleinen Veränderung des bekannten Rechtssatzes
sagen: tempus regit actum. Dem Antrag von LAMMASCH, dies in
dem Abkommen auch zum Ausdruck zu bringen, wurde nur des-
halb nicht entsprochen, weil sich der Satz von selbst ver-
stehe.
4. Als die Entwickelung des Völkerrechts an dem entscheiden-
den Punkt angelangt war, daß der Sieger nicht mehr als un-
beschränkter Herr im Feindesland auftreten durfte, begann der
Zivil- und Strafgesetze durch die Besetzung außer Kraft treten und forderten
für die fortdauernde Geltung einen Erlaß des Oberstkommandierenden.
25 Allerdings nicht privat- sondern Öffentlich- und zwar völkerrecht«»
liches Besitzverhältnis.
26 ALBERT ZORN, Das Kriegsrecht zu Lande, S. 218.
27 Vgl. oben $. 358.