— 1383 —
Fragen zum Völkerrecht.
Von
Dr. jur. ALEXANDER LiIFscHÜTz, Referendar in Bremen.
A. Zum Wesen des Völkerrechts.
Eine rechtsphilosophische Studie.
Selten ist über eine Rechtsmaterie soviel Hohn geschüttet
worden wie in dem tobenden Weltkriege über das Völkerrecht,
das Stiefkind aller Rechtsgebiete. Selten werden Stiefeltern mit
soviel Schadenfreude im Stillen über das Schicksal dieses Kindes
haben lächeln können, wie hier diejenigen, die an sein Recht nie
geglaubt haben. Nun, werden sie frohlocken, liege ja der Beweis
offen vor aller Welt, daß die gepriesenen Regeln des Völkerrechts
nichts weiter seien als Seifenblasen, die beim ersten politischen
Windhauch in ein Nichts zergehen. Allein — jene Erscheinungen,
die dem Völkerrecht zu spotten scheinen, sind Tatsachen, die
nichts mit der Rechtsnatur jener Sätze zu schaffen haben, die
den Staatenverkehr beherrschen, Tatsachen, die noch dazu einer
Sphäre entstammen, der es von vorneherein an jeglicher strengen
Objektivität mangelt, der Politik. Wie könnten diese also einer
rechtlichen und wissenschaftlichen Betrachtung Hindernisse bieten,
die losgelöst von jeder engherzigen, egoistischen, politischen Ten-
denz allein die Ursachen für jene rechtsverneinenden Erscheinungen