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liegt der Kern der ganzen Frage: was verleiht dem Völkerrecht
den Rechtscharakter ?
Man muß zurückgreifen: wie entstehen denn überhaupt die
Sätze des Völkerrechts? Zunächst: Handhabung bestimmter Tat-
bestände nach bestimmter Richtung unter Beobachtung des Gegen-
seitigkeitsprinzips. "Nie wird schließlich zur Gewohnheit. Die
Staaten gewinnen die Ueberzeugung: so muß es sein! Was wir
tun, ist unser Recht und zugleich unsere Pflicht! Damit sind
schon die sämtlichen Voraussetzungen für ein Gewohnheitsrecht
gegeben. Häufig mag die Anerkennung solcher Grundsätze noch
besonders im Wege allgemeiner Staatsverträge niedergelegt wer-
den, häufig mögen bestimmte Grundsätze sofort in solchen Ver-
trägen feste Form gewinnen. Immer aber ist der Boden, dem
die Saat entspringt, die gemeinsame Rechtsüberzeugung der
Staaten!
Trotzdem hat man die Rechtsnatur des Völkerrechts ge-
leugnet und zwar deshalb, weil es keine Macht gebe, die über
den Staaten stehe, und aus diesem Grunde jeder Zwang zur
Realisierung der völkerrechtlichen Grundsätze fehle. Diese Irr-
lehre ist treffend bereits mit dem Hinweis darauf widerlegt, daß
das Zwangsmoment kein notwendiges Requisit des objektiven
Rechts ist. Es kommt nun hinzu, einmal daß ein Zwang, wie
er sich im Rahmen des Völkerrechts findet, also die Selbsthilfe
in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, ebenso im nationalen
Recht, sowohl im Privatrecht wie im öffentlichen Recht, vorhan-
den ist, und ferner vor allem, daß auch dort der seitens der
übergeordneten Macht, der Staatsgewalt, bereitgestellte Zwang
niemals zur Realisierung des objektiven Rechts dient, vielmehr
lediglich zur Durchsetzung subjektiver Rechte, die auf Grund
des objektiven Rechts dem einzelnen Subjekt erwachsen; so vor
allem im Privatrecht wie auch im Strafrecht. Hierüber ist oben
bereits gehandelt worden.
Mit alledem ist naturgemäß noch nicht bewiesen, daß das