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zu zwingen, so erwidert doch die Retorsion die interessenver-
letzende, unbillige Maßregel eines Staats stets nur in der gleichen
Weise, während die Repressalie unmittelbar Gewalt antut oder
Schaden zufügt, ohne in der Auswahl der erforderlichen Mittel
nach irgend einer Richtung beschränkt zu sein. — Die weitest-
gehende Art der Selbsthilfe endlich, der Krieg, ist der mit Waffen-
gewalt geführte Kampf mehrerer Staaten gegeneinander.
Besteht nun, so wird man zunächst fragen dürfen, irgend eine
allgemeine Bindung der Staaten bezüglich der Reihenfolge, in der
die drei genannten Zwangsmittel zur Anwendung gelangen dür-
fen? Eine dahingehende Beschränkung wäre doch zum minde-
sten denkbar. In ähnlicher Richtung bewegt sich ja beispiels-
weise die sog. kompromissarische Klausel, d. h. die Vereinbarung,
gewisse, aus Verträgen resultierende Streitigkeiten nicht mit
Waffengewalt erledigen, sondern der Entscheidung eines unpar-
teiischen Schiedsgerichts überlassen zu wollen. Noch mehr gehört
ferner hierher die Vereinbarung der sog. Ehrenklausel, durch die
sich die Staaten vielfach verpflichten, sämtliche zwischen ihnen
entstehende Streitigkeiten, soweit diese auf Verträgen beruhen
und nicht etwa die Ehre bzw. wesentliche Lebensinteressen be-
rühren, durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Diese
letztgenannte Vereinbarung bezweckt sogar noch mehr als die von
uns gestellte Frage enthält: sie läuft geradezu auf eine fast
völlige Ausschaltung eines der erwähnten Zwangsmittel, noch
dazu des stärksten, hinaus. Um wieviel mehr wäre also eine Ab-
rede denkbar, die lediglich die Verwendungsmöglichkeit und die
Reihenfolge für die Anwendung der sämtlichen völkerrechtlichen
Zwangsmittel normierte! Wieweit eine solche Vereinbarung Be-
achtung fände bzw. ihre Befolgung erzwungen werden könnte,
ist eine Frage, die nicht hierher gehört. Es genügt, daß sie
überhaupt möglich wäre! Allein — von vorneherein ist festzu-
stellen, daß eine Bindung bezüglich der Anwendung des Völker-
rechtszwanges in dem angedeuteten Sinne für die Staaten weder