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Die disjunktive Norm dagegen gewährt eine Freiheit der Wahl
zwischen zwei oder mehreren Möglichkeiten, welche alle rechtlich
gleichwertig sind, also keinen rechtlich relevanten Unterschied
aufweisen, und gleichzeitig alle normgemäß sind. Es ist recht-
lich irrelevant, welche Alternative gewählt worden ist, und doch
rechtlich relevant, daß eine von ihnen verwirklicht ist.
Es böte nun ein großes Interesse, die verschiedenen Arten
rechtlicher Relevanz unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, wie sich
hier die von disjunktiven Normen gewährte Freiheit zu der Frei-
heit des rechtlich Ungeregelten, der „rechtsfreien Sphäre“ ver-
hält. Allein eine solche Erörterung setzte eine systematische
Untersuchung aller möglichen Arten rechtlicher Relevanz voraus.
Eine so weitausgreifende Arbeit hat sich der vorliegende kleine
Aufsatz nicht zum Ziel gesetzt. Ich schreibe diese Zeilen, nach-
dem ich seit Beginn des großen Krieges, fast sieben Monate, im
Feld gestanden bin, während einiger Tage, während welcher die
Geschütze meiner Batterie den dringend notwendig gewordenen
Ausbesserungen unterzogen werden, und muß alle näheren Aus-
führungen des hier ausgesprochenen Gedankens für den Fall
meiner glücklichen Rückkehr einer späteren Arbeit vorbehalten.
Nur auf einen ganz besonders wichtigen Anwendungsfall der Un-
terscheidung von kategorischen und disjunktiven Normen sei es
gestattet hier hinzuweisen.
Es handelt sich um jene Rechtsbeziehungen, welche man
unter den Namen der Stellvertretung und der ÖOrganschaft zu-
sammenfaßt. Es finden sich sehr häufig Normen, welche dem
Stellvertreter oder Organ nicht ein bestimmtes Verhalten zur
Pflicht machen, sondern ihm die Wahl zwischen zwei oder meh-
reren Arten des Verhaltens freistellen, mit der Wirkung, daß er,
welche Alternative er immer wählt, nicht sich, sondern dem Ver-
tretenen (der Organisation) rechtliche Vorteile erwirbt oder Nach-
teile zuzieht. Klar und deutlich unterscheidet sich hier für eine
theoretische Betrachtung logischer Denkformen die vom Gesetz