— 169 —
und kategorischen Normen und verzichtet da-
mit bei der Behandlung des Rechtes auf die
Verwertung einer der Grundformen des logi-
schen Denkens.
Nun ist allerdings ein Uebergang von der kategorischen zur
disjunktiven Norm und daher auch von der rechtlichen Gebun-
denheit des öffentlichen Organs zur freien Zweckwahl denkbar.
Das menschliche Denken, welches mit seinen logischen Formen
Grenzen und Unterscheidungen aufgestellt hat, um mit ihrer Hilfe
das sonst unentwirrbare Chaos der Erscheinungswelt zu meistern,
hat auch selbst die Mittel gefunden, mit denen es diese Grenzen
und Unterscheidungen wieder überbrücken kann. Selbst in der
Mathematik verschwinden alle scharfen Grenzen, sobald wir zwi-
schen die deutlich unterschiedenen erfaßbaren Größen unfaßbar
kleine, „unendlich kleine* Größen eingeschoben denken. Der-
selbe Denkprozeß ist auch hier anwendbar. Man braucht in dem
Urteil „S ist P oder P, (oder P,. ..)* oder in der Norm „S
soll P oder P, (oder P,.. .) tun“ nur P, P, P, usw. einander
immer ähnlicher werden zu lassen, bis der Unterschied unendlich
klein ist. Dann geht die disjunktive Form an dem Punkt, an
welchem der Unterschied zwischen den Prädikaten für den jeweils
verfolgten Zweck aufhört, beachtenswert zu sein, in die katego-
rische über. Darum aber den Unterschied zwi-
schen der kategorischen und der disjunktiven
Form und daher auch jenen zwischen rechtlicher
Gebundenheit und freier Zweckwahl zu leugnen,
wäre ebenso, wie wenn jemand wegen des Begriffs
der unendlich kleinen Größe alle Größenunter-
schiede in der Mathematik und damit alle Mathe-
matik selbst negieren wollte.
Mit diesen Erkenntnissen gewinnen wir auch Lieht über die
Frage, aus welcher „Rechtsquelle“ theoretische Erörterungen über
rechtliche Gebundenheit und rechtliche Freiheit, über die Zweck-