Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

— 20202 — 
sche Prinzip im Sinne der Restauration bezeichnen kann. Die Orientierung 
nach diesen beiden Gegensätzen ließ die Frage nach der Fortwirkung von 
Verfassungsgedanken des älteren deutschen Staatsrechts wohl besonders 
deshalb übersehen, weil diejenigen, die sich mit jenen beschäftigten, und 
zwar nicht nur die ausgesprochen reaktionären unter ihnen, darin spezifisch 
deutsche Rechtsgedanken erblickten, infolgedessen den Gegensatz zu dem 
„welschen“ Gedanken des Konstitutionalismus stark betonten und dadurch 
die ganz außerhalb der Antagonie: monarchisches Prinzip — konstitutio- 
nelle Theorie liegende selbständige Bedeutung ihrer Forschungen nicht 
hervortreten ließen. Die folgende Periode der Staatsrechtswissenschaft 
war vollständig erfüllt mit der Aufgabe der Darlegung des neu entstandenen 
Verfassungsrechts in den Einzelstaaten und im Reich. Ansätze zu be- 
wußter Herausarbeitung der für das Verständnis des heutigen Rechts wich- 
tigen historischen Zusammenhänge konnten nicht zu voller Wirkung ge- 
langen, weil inzwischen die Staatsrechtslehre die juristisch-dogmatische 
Sichtung des bis dahin wesentlich nur gesammelten neuen Rechtsstoffes als 
ihre dringendste Aufgabe anzusehen gelernt hatte. Eine ganz natürliche 
Folge dieser Entwicklung ist es, daß in der Frage des Nachwirkens älterer 
deutscher Verfassungsgedanken die Versäumnis der ersten Jahrzehnte des 
vorigen Jahrhunderts bisher nicht nachgeholt wurde. 
Aus diesen methodengeschichtlichen Erwägungen ergibt sich für die 
Bedeutung des von INGELMANN behandelten Themas negativ, daß sie nicht 
auf Grund der fast völligen Nichtbeachtung des Themas in dem bisherigen 
staatsrechtlichen Schrifttum ohne weiteres als gering eingeschätzt werden 
darf. Für eine positive Beurteilung dieser Bedeutung — sie wird m. E. 
überraschend groß erscheinen — fehlen bisher die Grundlagen. Wichtige 
Teile dieser Grundlagen liefert INGELMANN, aber doch nur Teile, denn er 
beschränkt seine Arbeit auf die bis 1819 entstandenen Verfassungen. Er 
gibt also nur einen kleinen Ausschnitt aus der Entwicklungsgeschichte des 
modernen deutschen Verfassungsrechts. Immerhin bietet nicht nur dieser 
Ausschnitt an sich schon eine Bereicherung der staatsrechtlichen Erkennt- 
nis, sondern vor allem — das ist ja der Hauptwert jedes ersten Ver- 
suches — sind ihm wichtige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, in wel- 
cher Richtung eine ausgedehntere Forschung zu suchen haben wird. 
Ein Ueberblick über den „Kampf zwischen Altem und Neuem auf ver- 
fassungsrechtlichem Gebiet zu Beginn des 19. Jahrhunderts*, wie ihn Verf. 
in seiner Einleitung geben will, hätte die Rolle nicht übersehen dürfen, 
die das Vorbild der englischen Verfassung in dem deutschen politischen 
Denken jener Zeit spielte. Denn die englische Verfassung dürfte wegen 
ihrer ununterbrochenen Entwicklung aus einer altständischen zu einermodern- 
repräsentativen gerade für die Frage der ständischen Elemente in den konsti- 
tutionellen Verfassungen von größter Bedeutung sein. Das Interesse für 
sie ist dem deutschen politischen Denken nicht nur durch MONTESQUIEU
	        
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