Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

— 233 — 
systeme. Dieses Kriterium kann nun grundsätzlich ein doppeltes sein: ent- 
weder ist es ein materielles, d.h. in mein Normensystem fallen dann 
alle Normen, die, wie z. B. die sog. moralischen, inhaltlich einem gewissen 
Prinzipe entsprechen — z. B. neminem laede, imo omnes quantum potes 
iuva —-, oder aber ein formales, d. h. der Erkenntnisgrund, daß ein 
Ausdruck eines Sollens für mich eine Norm ist, liegt nicht in ihrem In- 
halte, sondern in dem Umstande, daß ich ihn auf Grund einer Regel 
einem bestimmten Normsubjekte als Träger dieser Norm (z. B. Gott, dem 
Staate usw.) zurechne. Normen, die dem Staate als Träger zugerechnet 
werden, werden allgemein Rechtsnormen, ihre Gesamtheit Rechts- 
ordnung genannt. Wenn diese Rechtsordnung ein einheitliches Norm- 
system darstellen soll, so darf allerdings keine Norm, die diesem formalen 
Prinzipe nicht entspricht, als Rechtsnorm gelten. Wenn wir also inter- 
nationale Normen als Rechtsnormen begreifen wollen, müssen dieselben 
dieser Anforderung entsprechen. Aber ähnlich wie es verschiedene Moral- 
systeme gibt gibt es auch verschiedene Rechtssysteme. Die Natur des 
vereinheitlichenden Prinzips — hier das formale, dort das materielle — 
muß zwar dieselbe sein, trotzdem ist aber eine Mehrheit von selbständigen 
Systemen derselben Gruppe und deren isolierte Betrachtung möglich, ja 
notwendig: so haben wir die österreichische, deutsche, französische usw. 
Rechtsordnung, deren jede selbständig, d. h. mit andern Worten souverän 
ist. Das normative Erfassen internationaler Normen als Rechtsnormen 
scheint aber geradezu diese Souveränität zu gefährden, denn sie sollen 
einerseits einer Mehrzahl von selbständigen Normsystemen gemeinsam sein 
und andererseits die Träger dieser Systeme — die einzelnen Staaten — recht- 
lich binden, d. h. eine Aenderung der einzelnen internationalen Normen 
nicht mehr im Belieben der souveränen Rechtsordnungen gelegen sein, 
womit mit a. W. ihre Souveränität begrifflich aufgehoben erstheint. 
Um nun dieser Konsequenz zu entgehen — über die in der Theorie 
des Völkerrechts üblichen abweichenden Versuche vgl. die Abhandlung von 
VERDROSS — konstruiert der Verfasser die internationalen Normen als 
staatliche Normen kraft Verweisung. „Das Gesetz macht eben kraft. 
Verweisung die näher auf internationalem Wege zu bestimmenden Normen 
zu den seinigen. Denn das Gesetz braucht ja niemals alles selbst auszu- 
sprechen, sondern kann jederzeit andere Normen zu den seinigen erheben. 
Nur die gesetzliche Ermächtigung muß vorliegen. Dies ist aber bei den 
materiellinhaltlichen Völkerrechtsnormen der Fall, so daß die formale Re- 
lation zur Rechtsordnung gegeben ist“ (S. 341). Diese Verweisung, die 
sich also offenbar als ein Blankettrechtssatz darstellt, findet der Autor in 
den Bestimmungen der einzelnen Verfassungen, wonach „das Staatsober- 
haupt Staatsverträge schließen darf“. „Das Völkerrecht wird so zu einem 
integrierenden Bestandteile der Rechtsordnungen aller jener Staaten, deren 
Verfassungen den Abschluß von Verträgen mit anderen Staaten zulassen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.