Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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gegenseitig aus — welche ist also zu wählen? Bei der Entscheidung dieser 
Frage fällt es mir natürlich nicht ein, auf das zufällige (äußere) Moment 
zu rekurrieren, daß die die internationalen Beziehungen regelnde Tätigkeit 
der Staaten in der Regel als „Verträge“ bezeichnet wird. Man muß 
vielmehr vor allem die Verfassungen der betreffenden Staaten in Betracht 
ziehen. Und hier kann es — wenigstens bezüglich des österreichischen und 
deutschen Staatsrechtes — gar keinem Zweifel unterliegen, daß die 
internationalen Verträge keine Gesetze in formal- 
technischem Sinne sind, sondern Rechtsgeschäfte, welche der 
Monarch auf Grund der in der Verfassung enthaltenen Ermächtigung als 
Vertreter, d. h. im Namen des Staates (als Rechtsperson) schließt. 
Wenn dem so ist, dann kann der Komplex dessen, was man „Völkerrecht“ 
nennt, nicht ein Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung sein, wie v. VER- 
DROSS annimmt. Auch kann seiner Behauptung, daß durch seine Kon- 
struktion der bisher bloß naturrechtlich behauptete Satz: pacta sunt ser- 
vanda zu einem logischen Prinzipe des positiven Rechts erhoben 
ist (S. 347), nicht beigepflichtet werden. Dieser Satz ist — als offenbarer 
Ausdruck eines Sollens — nicht ein logisches Prinzip (wie etwa die Regel 
lex posterior derogat priori), sondern eine Norm, die eine Rechtsnorm wer- 
den kann, wenn sie in einer Rechtsordnung enthalten ist. 
Aber angenommen, die Verfassung eines Staates würde vorschreiben, 
daß ein gültiger internationaler Vertrag resp. dessen Auflösung nur auf 
dem Wege und in der Form eines konstitutionellen Gesetzes zustande 
kommen kann, wobei hier — im Gegensatze zu gewöhnlichen Gesetzen — 
zur Perfektionierung noch die Zustimmung eines zweiten Staates notwendig 
wäre, so kann trotzdem nicht von einer Bindung der Legislativen der be- 
teiligten Staaten im Sinne v. VERDROSS gesprochen, d. h. behauptet wer- 
den, daß die Auflösung (= Zerstörung geltenden Rechtes) seitens eines 
Staates nur mit Zustimmung des anderen in verfassungsmäßiger, also ju- 
ristisch relevanter Weise geschehen kann. Denn dies würde in der Tat die 
Souveränität der betreffenden Rechtsordnungen vernichten. Vielmehr muß 
formaljuristisch angenommen werden, daß der betreffende Vertrag auch 
ohne Zustimmung des zweiten Staates dann aufgelöst werden kann, wenn 
nur das betreffende Gesetz auf dieselbe Weise entstanden ist (also ?/s, ®/4 
usw. Majorität des Parlaments), wie diejenige Norm, welche zur Lösung 
von internationalen Verträgen die Zustimmung der beteiligten Staaten er- 
fordert. Denn dies ist die Konsequenz des unabhängig von jedem positiven 
+ Vgl. das österr. Staatsgrundgesetz über die Regierungs- und Voll- 
zugsgewalt vom 21. Dezember 1867, Art. 6: „Der Kaiser schließt die Staats- 
verträge ab“ und insbesondere Art. 11 der deutschen Verfassung: „Der 
Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten und Frieden 
zu schließen und andere Verträge mit fremden Staaten einzugehen“. 
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 1/2. 16
	        
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