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Die beiden ersten deutschen Soziologentage
und die Rechtswissenschaft‘.
Von
Prof. Dr. WÜSTENDÖRFER, Rostock.
Wer die berechtigte Vorliebe deutscher Juristen für begrifflich
scharfe Erfassung der Rechtsprobleme kennt, den kann es nicht
wunder nehmen, wenn viele unter ihnen, und namentlich Vertreter
des Privatrechtes, auch heute noch den Kopf schütteln, sobald die
Worte „Soziologie“ und „soziologisch* ihr Ohr treffen. „Denn
eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich
ein*... In der Tat muß dies geheimnisvolle Etwas, das sich
seit AUGUSTE COMTE „Soziologie“ nennt, den Vorwurf auf sich
nehmen, daß annoch selbst in den Kreisen der Fachgenossen
Unklarheit herrscht über Wesen, Gegenstand und Methode. Während
SIMMEL von einer Sonderwissenschaft der sozialen Formen spricht,
erklärten andere die Soziologie in Anlehnung an COMTE, SPENCER,
SCHÄFFLE für die allgemeine Wissenschaft von der Gesellschaft,
die sich den bisherigen gesellschaftlichen Einzelwissenschaften wie:
Volkswirtschaftslehre, Rechtslehre, Religionswissenschaft, als etwas
selbständiges hinzugeselle. Leider aber gaben uns die Vertreter
ı Verhandlungen des ersten deutschen Soziologentages 1910, Frank-
furt a. M. (Tübingen, Mohr, 1911, XII. u. 335 S.) und des zweiten, 1912,
Berlin (Tübingen, Mohr, 1913, VIII und 192 8.). Die Ausführungen im Text
des obigen Aufsatzes wollen zugleich eine Besprechung dieser „Verhandlun-
gen“ sein.