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der typischen Interessenlage einer hestimmten Gesetzesvorschrift,
eben der des Obersatzes. Alsdann kommt es zur Schlußfolgerung:
für A gilt F, und wiederum liegt darin eine von einem Werturteil
geleitete *, durch eine Willensentschließung vollzogene richter-
liche Interessenwägung, diesmal nicht in abstracto, wie bei der
Auslegung des Gesetzes zwecks Bildung des Obersatzes, sondern
in concreto, im Hinblick auf den gegebenen Prozeßtatbestand, den
Interessenkonflikt der Parteien. Heck trifft daher den Kern der
Sache, wenn er die bürgerliche Rechtsprechung und die dazu er-
forderliche Gesetzesauslegung als „Interessenjurisprudenz® be-
zeichnet.
Diese Interessenjurisprudenz zerfällt nun, auf ihre Wissen-
schaftlichkeit hin geprüft, in zwei verschiedenartige Geistestätig-
keiten, nämlich ene vorbereitende soziologische
Tatsachenerforschung. die ein Akt empirischer Erkennt-
nis ist, und zwei anschließende richterliche Interessenwägungen,
die, weil auf Werturteil und Willensentschließung aufgebaut, mit
wissenschaftlicher Erkenntnis unmittelbar nichts zu tun haben,
vielmehr ein Akt der richterlichen Kunst sind. Jene vorbereitende
Tatsachenforschung setzt ein, nachdem der Prozeßtatbestand mit
seiner konkreten Interessenlage ermittelt und in vorläufiger Orien-
tierung eine Gesetzesvorschrift ausfindig gemacht ist, deren Tatbestand
sich prima facie, d. h. grammatisch, systemlogisch, entstehungs-
geschichtlich in vorläufigem Ueberblick betrachtet, mit dem kon-
kreten Tatbestand des Prozeßfalles deckt. Aufgabe jener sozio-
logischen Tatsachenforschung ist es alsdann, wenn möglich, zu
ermitteln: 1. die geschichtlich feststellbare Vorstellung des
sog. Gesetzgebers von der sozialen Interessenlage jener
Gesetzesvorschrift, seine Zweckvorstellung und das Wert-
’ Daß die Notwendigkeit eines Werturteils eine gesteigerte ist, wenn
der gesetzliche Tatbestand seinerseits auf ein Werturteil des Richters die
Tatfrage abstellt, z. B. darauf, ob „grober Undank“ des Beschenkten vor-
liegt, braucht als bekannt hier nicht weiter erörtert zu werden.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 3/4. 28