Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

—_ 412 — 
urteil seiner Interessenwägung, im Anschluß daran 2. die wirk- 
liche — vielleicht abweichende — geschichtliche Interessenlage 
bei Erlaß des Gesetzes und 3. die hiervon wiederum vielleicht ab- 
weichende heutige soziale Interessenlage, 4. die tatsächlichen 
gesellschaftlichen Wirkungen der Gesetzesvorschrift, und end- 
lich 5. die Tatsachen wie die Ursachen einer etwa heute bestehenden 
Rechtswirklichkeit in Ergänzung oder in Abweichung von 
jener Gesetzesvorschrift, als: typische Vertragsschlüsse, Handels- 
bräucheund Verkehrssitten, neues Gewohnheitsrecht. Alle diese für die 
Interessenwägung vorbereitende Forschungstätigkeit ist — man 
beachte das wohl — rein wissenschaftlich, ein Akt em- 
pirischer Erkenntnis, und zugleich ist sie echt soziologisch 
im Sinne unseres heuristischen Prinzips, denn 
sie ist nicht möglich ohne die sorgfältige Betrachtung einerseits 
der Einwirkungen von Wirtschaft, Technik, Sitte, Kultur usw., 
auf die drei Gebotselemente des Tatbestandes, der Norm und des 
Zweckes, nicht möglich andrerseits ohne Betrachtung der Rück- 
wirkung der fraglichen Gesetzesvorschrift auf jene anderen gesell- 
schaftlichen Momente. 
Damit ist dann eine wissenschaftlich feste Grundlage geschaffen 
für die kritische Nachprüfung der prima facie ins Auge gefaßten 
Gesetzesvorschrift im Hinblick auf ihren Gegenwartswert, d. h. 
die inhaltliche Anpassung ihrer Interessenwägung und ihres sozi- 
alen Zweckes an die heutige soziale Interessenlage, das heutige 
Werturteil der führenden Kulturschicht des Volkes. Der Willens- 
akt richterlicher Normfindung, dem diese Aufgabe alsdann zufällt, 
darf auch seinerseits soziologisch genannt werden. Denn er ist 
beherrscht von einer Vorstellung über den gesellschaft- 
lichen Zweck und die gesellschaftliche Wirkung 
der betreffenden Norm, und diese Vorstellung hat m. E. nicht 
dahin zu gehen, daß ein angeblich individuelles Zweckbe- 
bewußtsein und ein angeblich individuelles Werturteil eines als 
Einzelwesen gedachten verstorbenen Gesetzgebers ausschlaggebend
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.