Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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für den Norminhalt ist, sondern dahin, daß ein brauchbarer 
Gegenwartszweck der Norm, das einer geistigen Verbundenheit 
entsprossene gesellschaftlich-kollektive Wertur- 
teil der heutigen führenden Kulturschicht des Volkes, den Norm- 
inhalt maßgebend beeinflußt. Jede wahre Interessen- 
Jurisprudenzistalso zugleich und ganz wesent- 
lich soziologische Rechtsfindung. 
Bei KANTOROWICZ sind diese Zusammenhänge noch nicht 
recht gewürdigt; soweit er sie aber berührt, trübt ihm der oben 
schon angedeutete Irrtum den Blick®. KANTOROWICZ meint (II, 
291 f.), die Interessenwägung gehöre nicht zur Rechtsfrage, son- 
dern lediglich zur Tatfrage. Vielleicht haben hier spezifisch 
strafrechtliche Vorstellungen auf KANTOROWICZ eingewirkt. Für 
das Zivilrecht liegt die Sache jedenfalls anders. Die Interessen- 
wägung ist das entscheidende Moment der Normfindung in ab- 
stracto (Gesetzesauslegung) und der Normfindung in concreto 
(Fallentscheidung), also der Rechtsfrage. Da es aber die eigen- 
tümliche Technik unserer Gesetze ist, eine Norm an einen ge- 
dachten Tatbestand anzuknüpfen, so kann — bei feststehendem 
Inhalt der gesetzlichen Norm — die Interessenwägung durch den 
Richter sich, wie ich darlegte, äußerlich betrachtet, auch so 
vollziehen, daß der Tatbestand des Gesetzes so oder so, enger 
oder weiter verstanden, „ausgelegt“ wird. Mit diesem Verfahren 
werden dann für den konkreten Prozeßtatbestand neue Subsumtions- 
möglichkeiten geschaffen. Aber damit ist die Interessenwägung 
in Wahrheit noch nicht zu einer Tatfrage gemacht, sie bleibt ein 
Akt der Normfindung, denn die durch Auslegung erzielte Einengung 
oder Erweiterung des gesetzlichen Tatbestandbegriffes wirkt 
natürlich zurück auf die angeknüpfte Norm: Sie ändert den 
Umfang ihres Herrschaftsbereiches, führt zur Anwendung oder aber 
  
  
8 Vgl. bereits Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung 8. 32 Anm.], 
und meine Ausführungen im Arch f. die ziv. Praxis 110 S. 283. 
28 *
	        
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