Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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zur Ausschaltung der Norm im konkreten Full, und eben hierin 
liegt die entscheidende konkrete Interessenwägung. 
Was aber ist der Maßstab des Werturteils, von dem der 
Richter seine Willensentscheidung, seine Normfindung abhängig 
macht? Das ist das Problem, um dessen Lösung wir heute noch 
ringen. HECK vertritt die Bindung des Richters an das gesetz- 
liche historische Werturteil, während ich, wie oben schon erwähnt, 
in Verfolg des gesellschaftlichen Grundgedankens 
jeder Rechtsprechung für die Bindung an das gegenwärtige Wert- 
urteil der führenden Kulturschicht des Volkes eingetreten bin’. 
KANTOROWICZ’ Ansicht bleibt zweifelhaft !. Die Andeutungen, 
die er gibt, sind reichlich unbestimmt und müssen auf einen 
Einwand gefaßt sein. Was soll damit gesagt sein, daß die „vom 
Gesetz verfolgten Zwecke“ unweigerlich vom Richter zu verwirk- 
lichen seien (II, 287), daß dem Richter die Ziele seiner Rechts- 
findung „in den Zwecken der Rechtsordnung autoritativ und unan- 
tastbar* gegeben seien, daß der Kulturwert, an dem die Dogma- 
tik orientiert sei, in der „Gesamtheit der von einer bestimmten 
Rechtsordnung verfolgten Zwecke“ liege (II, 295). die In- 
teressenwägung sich daher darstelle als eine „Beurteilung der 
Interessen darauf hin, inwieweit die Förderung des einen oder des 
anderen den Zwecken der Rechtsordnung gemäß sei* (II, 295)? 
Das klingt ganz, als ob KANTOROWICZ an das Vorhandensein von 
Zwecken glaubt, die, losgelöst vom Bewußtsein bestimmter Indi- 
viduen oder bestimmter menschlicher Gruppen, z. B. des Gesetz- 
gebers, in den Tiefen des Gesetzes ihr Eigenleben führen, dort 
gleichsam versachlicht, objektiviert sind. Das wäre dann freilich 
ein ähnlicher Irrtum der Abstraktion, wie der, dem SCHOPEN- 
HAUER erlag, als er die Welt als „Wille“ ohne Beziehung auf 
® Arch. f. die zıv. Praxis 110 S. 323 ff., 348 ff. 
ı Vgl. einerseits seine im Text wiedergegebenen Aeußerungen, ander- 
seits den Satz (II, 288), bei der Findung von Lückenrecht habe sich der Richter 
„womöglich an die jeweilig im Volke herrschenden Werturteile zu halten‘.
	        
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