Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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wiesen hat (II, 328). Es ist möglich und unter Umständen zweck- 
mäßig, auch einen Rechtssatz der Vergangenheit zuerst normativ 
zu betrachten, unter dem Gesichtswinkel der Frage: Was sollte 
er damals wohl bedeuten? was hat er bezweckt? und dann erst 
als Faktum, also zur Entscheidung der Frage: Wie hat er tat- 
sächlich gegolten? Wie hat er gewirkt? 
Nicht erwähnt ist von KANTOROWICZ eine Folgeerscheinung 
begrifflich-konstruktiver Betrachtung, die ich ebenfalls bei der 
rechtsgeschichtlichen Forschung für bedenklich halte. Ich meine 
den zuweilen unternommenen Versuch, die Geschichte eines Rechts- 
institutes aufzulösen in die Geschichte seines heutigen Rechtsbe- 
griffes, z. B. die Geschichte des Kommissionsgeschäftes aufzufassen 
und darzustellen als eine Geschichte des aus dem heutigen deut- 
schen Kommissionsgeschäft entnommenen Begriffes: Vornahme 
eines Handelsgeschäftes für fremde Rechnung ım eigenen Namen. 
Diese Methode trägt unzulässigerweise moderne Begriffe in ver- 
gangene Lebensverhältnisse hinein, sie ist ein Ausläufer des Be- 
griffsrealismus, der an das Dasein der Begriffe als selbständiger 
Lebewesen glaubt und nicht beachtet, daß die Begriffe nur das 
Ergebnis eines gedanklichen Abstraktionsprozesses aus der Beob- 
achtung jeweiliger Lebensverhältnisse sind. In den Rechtsbe- 
griffen der heutigen Rechtsordnung spiegeln sich die typischen 
Verkehrserscheinungen des heutigen Lebens wieder. Diese Ver- 
kehrserscheinungen haben sich in ihrer heutigen typischen Ge- 
staltung erst allmählich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung 
herangebildet, sie unterlagen dem Gesetz der zunehmenden Diffe- 
renzierung, indem sie sich mit wachsender Kultur immer mehr 
verzweigten und verfeinerten. Auch die heutigen Rechtsbegriffe 
sind daher ein Ergebnis geschichtlicher Typen-Differenzierung und 
in ihrer heutigen feinverzweigten Besonderung vergangenen Zeiten 
ganz unbekannt. Es bedeutet daher eine unzulässige Einengung 
des geschichtlichen Gesichtsfeldes und zugleich eine Herantragung 
heterogener Begriffe an die geschichtlichen Tatsachen, wenn man
	        
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