Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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beeinflussen, daß es für einen Skeptiker ein billiges Vergnügen wäre, mit 
solcher Arbeit zum Schluß zu kommen: hier sehe man recht, wie im Ver- 
erben der Rechtseinrichtungen Vernunft Unsinn werde; hier sei das Bei- 
spiel dafür, daß es kein absolutes, kein zum Ideal des richtigen Rechtes 
fortschreitendes Recht gebe, sondern nur ein Labyrinth juristischer Worte 
und Begriffe. Aber zu solehem Spott über das Menschliche, das allem un- 
serm Wissen als unreine Mischung beiwohnt, hat Somm keine Neigung ge- 
habt. Er hat sehr genau gesehen, wie schwer es die frühmittelalterlichen 
Juristen hatten, die bald fremdes Recht in eigene Begriffe bringen, bald 
einheimisches Recht mit fremden Namen bezeichnen mußten. Er hat es, 
mit gebotener Vorsicht, abgelehnt, aus den Urkunden des 11. und 12. Jahr- 
hunderts überall, wo ein contestari oder contestatio vorkommt, ein Zeugnis 
über die sinnvolle Handhabung der römischen Einrichtung zu entnehmen; 
er hat gelegentlich auch, nach meinem persönlichen Urteile zu scharf, den 
„Scholastizismus der Rechtsbildung* für die Verkehrungen des Begriffs der 
Streitbefestigung und für das inhaltlich leere Festhalten unverstandener 
Einrichtungen der Quellen verantwortlich gemacht. Aber zuletzt kommt 
doch aus seiner Darstellung, selbst der dürftigsten Zeiten des gemeinen 
Prozesses und der schwächsten Dogmatiker-Gruppen, die Einsicht und die 
Ueberzeugung heraus, daß nicht Zufälligkeiten des Gelehrtenstreits und 
Mißverständnisse oder Flüchtigkeiten in der Quellenbenützung den Gang 
der Rechtsentwicklung bestimmen, sondern daß auch bei der Gestaltung 
der Einzeleinrichtungen ein starker Wille und lebendige Gesamtvorstellung 
vom Notwendigen und Richtigen im Rechtswesen am Werk sind. Ueber 
die römische litis contestatio selbst ist in der Forschung das letzte Wort 
noch nicht gesprochen; SOHM hat sich hier, in der kurzen Einleitung seiner 
Schrift, der Vertragstheorie angeschlossen und für den nachklassischen 
Prozeß angenommen, daß an Stelle des wirklichen Prozeßvertrags seine 
Fiktion getreten sei, die litis contestatio nur den Zeitpunkt bezeichne, in 
dem diese Fiktion wirksam wird. Wie dem auch sei: der selbständige und 
bleibende Wert der Arbeit liegt in dem Nachweis dafür, daß von der 
frühesten bezeugten mittelalterlichen Praxis bis in die jüngste gemeinrecht- 
liche Theorie und bis in das jetzt noch geltende kanonische Prozeßrecht 
die litis contestatio etwas sein wollte, was für römischrechtlich galt (dies 
das „klassische Ideal“ SoHMs), mit jener Auffassung der klassischen und 
nachklassischen Zeit aber durchaus nicht stimmt. Schon für die YInter- 
pretatio hat SoHmMm in mustergültiger Behandlung der Hauptstellen nach- 
gewiesen, daß die litis contestatio eine solenne Erklärung des Streit- 
willens, zunächst von seiten des Klägers, beim Gericht ist. Von beson- 
derer Bedeutung sind die Nachweise aus den literarischen Bearbeitungen 
des Breviers, zunächst den Epitomen; hier stimme ich SOHM durchaus bei. 
Ebenso scheint mir in der feinsinnigen Auslegung der schwierigen Stelle 
aus der Summa Perusina 3. 9, 1 (S. 84 fg.) die Rechtfertigung der Ver- 
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 3/4. 3l
	        
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