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in der Welt gewinnen. Zugleich aber treten schon die nationalen
Volkstriebe der neuen Zeit hervor. Regt sich hier das Bewußt-
sein der geistigen Einheit, so finden wir schon wenige ‚Jahre
später, in WILHELM V. HUMBOLDTs Denkschrift an Stein, vom
Dezember 1813, den Wunsch nach politischem Ausdruck der
deutschen Nationalität: „Deutschland muß frei und stark sein
nicht bloß, damit es sich gegen diesen oder jenen Nachbarn oder
überhaupt gegen jeden Feind verteidigen könne, sondern deswegen,
weil nur eine auch nach außen hin starke Nation den Geist in
sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Innern strömen;
es muß frei und stark sein, um das, auch wenn es nie einer
Prüfung ausgesetzt würde, notwendige Selbstgefühl zu nähren,
seiner Nationalentwicklung ruhig und ungestört nachzugehen und
die wohltätige Stelle, die es in der Mitte der europäischen Na-
tionen für dieselben einnimmt, dauernd behaupten zu können.“
Der Verwirklichung dieser Gedanken waren freilich noch Hemm-
nisse und Wirrungen beschieden. Nicht auf dem Boden der
deutschen Nation waren die Grundlagen zu einem modernen Na-
tionalstaate zu finden, sondern auf dem Boden des preußischen
Einzelstaates.. Und dem preußischen Staate wiederum erwuchsen
aus der Rivalität Oesterreichs und aus der Frage der Teilung der
deutschen Vormachtstellung zwischen beiden schwierige Probleme.
Noch in der erwähnten Denkschrift HUMBOLDTs wird „die feste,
durchgängige, nie unterbrochene Uebereinstimmung und Freund-
schaft Oesterreichs und Preußens“ als der Schlußstein des ganzen
Gebäudes bezeichnet, und ın der Denkschrift über den deutschen
Bund, vom 30. September 1816, heißt es: „Das Wahre und
Eigentliche wäre, daß Preußen und Oesterreich gemeinschaftlich
den Bund leiteten.“
Indem nun in jenen Gedanken FICHTES noch die welt-
bürgerlichen Ideale des 18. Jahrhunderts wirksam waren,
wurden von anderer Seite her die Einflüsse der erwachenden
Romantik auf die Entwicklung der nationalen Idee lebendig.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIV. 1/2. 6