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Auf der Grundlage dieser Gedanken hat sich im öffentlichen
Arbeiterversicherungsrecht der Grundsatz entwickelt, daß vielfach
das Gewicht der tatsächlichen, der inneren, wirtschaftlichen Ge-
staltung der Dinge stärker ist, als deren zivilrechtliche Behand-
lung, und daß sich in solchen Fällen die Beurteilung der Sach-
lage vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt nach den realen, wirt-
schaftlichen Momenten richtet, nicht aber nach ihrer zivilrecht-
lichen Erscheinungsform.
Damit hängt in folgendem Sinne die kriegsrechtliche Behand-
lung unseres Stoffs zusammen: Unverkennbar hat die Reichs-
versicherungsordnung die besonderen Erscheinungen und Wirkungen
eines Kriegs nicht in jeder Richtung berücksichtigt; damit recht-
fertigt sich nicht nur die Anpassung des geltenden Rechts an die
besonderen Umstände und Bedürfnisse der Kriegszeit im Wege
der Notgesetzgebung und Notverordnung; sondern auch eine be-
sondere Behandlung des Rechtsstoffs in Wissenschaft und An-
wendung: auf der Grundlage der inneren Zusammenhänge und
führenden Gedanken des öffentlichen Versorgungsrechts ist im
gesetzlichen Rahmen der Zeitlage und dem wahren Willen des
Gesetzgebers, soweit dieser im Gesetz erkennbaren Ausdruck ge-
funden hat, Rechnung zu tragen und so der wahre Sinn des
Gesetzes zu ergründen. Die Rechtspreehung des Reichsgerichts
und die gesamte Praxis der obersten Versicherungsbehörden läßt
keinen Zweifel, daß nach ihrer Auffassung bei Auslegung und
Anwendung eines Öffentlichen Versorgungsrechts das praktische
Bedürfnis und der Gedanke wohlwollender Fürsorge durchaus zu
berücksichtigen sei. Dies gilt für Krieg und Frieden. Insbeson-
dere sind aber alle für die Kriegsteilnehmer erlassenen Vorschriften
tunlichst wohlwollend auszulegen.
Besonders ein modernes Fürsorgerecht duldet seinem inner-
sten Wesen und Zweck nach durchaus kein Einpressen in her-
gebrachte Formen und Begriffe.
Nur eine durchaus pragmatische, freie und prak-