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lichen einheitlicher Volksstaat auf das freie Selbstbestimmungsrecht der
deutschen Nation in ihrer Gesamtheit begründet werden.“ Demgemäß setzt
auch der Entwurf selbst in $ 2 ganz folgerichtig: „Alle Staatsge-
walt liegt beim deutschen Volk.“ Siewird — für es und nach seinem
Willen — „ausgeübt“ in Reichsangelegenheiten nach der Reichsverfassung,
„in den Landesangelegenheiten durch die deutschen Freistaaten nach Maß-
gabe ihrer Landesverfassungen“ — der Souverän bleibt immer das deutsche
Volk. Der zweite Entwurf hat bekanntlich stark föderalistische Zutaten
gebracht und dementsprechend lautet $ 2 Abs. 1 dort: „Alle Staatengewalt
liegt beim Volk“ — beim deutschen, preußischen. bayrischen, sächsischen
usw. Das ist bedeutsam. Der Entwurf STIER-SOMLO sagt von vornherein:
&‘1 „Die Staatsgewalt der Vereinigten Staaten von Deutschland steht zu
dem deutschen Volke“. Dabei ist gedacht: die der Einzelstaaten steht zu
dem preußischen, bayrischen, sächsischen usw. Volke. Die Einzelstaaten
sind hier als das Selbstverständliche, das Bleibende vorausgesetzt.
Der Verfasser ist sogar der Meinung: das Deutsche Reich sei durch
die Kevolution zunächst einfach untergegangen; denn „der Be-
stand dieses Deutschen Reiches war nach Maßgabe seiner Verfassung an
das Vorhandensein der Monarchie gebunden“ (S. 38). Von den Einzelstaaten
nimmt er das nicht an; sie sind nur meist „verfassungesrechtlich
nicht mehr identisch“ (S. 48). Die herrschende Ansicht wird doch wohl
sein, daß Staaten durch Revolution nicht von selbst untergehen, sondern
mit veränderter Verfassung fortdauern; die Staatsverfassung nur ist nicht
mehr „identisch“. War nun das Reich ein Staat, so müßte man wohl von
ihm das gleiche sagen. War es ein Bund mit starker Bundesgewalt. so
würde die republikanische Revolution in den Einzelstaaten selbstverständ-
lich gewisse Aenderungen an seiner Verfassung nach sich ziehen, ein Unter-
gang des Bundes, Reich genannt, wäre auch dann nicht notwendig. Die
Einzelstaaten, jetzt „Freistaaten“ genannt, würden die Reichsregierung nun
auf ihre neue Art stellen und zusammen mit dem Reichstag, der ver-
bliebenen Vertretung des deutschen Volkes, von welchem ihr Souverän
einen Teil bildet, diese Verfassungsänderungen vornehmen. Die Revolution
könnte auch zur Folge haben, daß etliche „Freistaaten* sich von dem
Bunde (Reich genannt) lossagten oder gar alle auseinandergehen; das wäre
dessen Untergang. Umgekehrt wäre es auch möglich, daß bei dieser Ge-
legenheit die Gesamtheit des deutschen Volkes sich als Souverän eines
republikanischen deutschen Gesamtstaates organisierte. Dann hörte der
Bund nur auf, um dieser stärkeren Form der Zusammengehörigkeit Platz
zu machen. Derselbe Vorgang kann sich bei einem bisher schon republi-
kanischen Staatenbund auch ohne Revolution vollziehen. Beispiel die
Unionsverfassung von 1787: We the people of the United States do ordain
and establish this constitution. Dem Frankfurter Parlament, obwohl.es aus
guten Gründen zur Volkssouveränität sich nicht gerade heraus bekennen