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abgeschwächten Erstministersystem zu bedeuten hat, um den Ein-
druck zu gewinnen, daß sich hier eines jener Duumvirate bilden
muß, wie ich sie bereits an anderer Stelle als letzten Sinn der
Gegenzeichnung darzustellen suchte®. In der österreichischen
Republik, die sich im erhofften Anschluß an das Deutsche Reieh.
aber im Grunde folgerichtiger an Stelle eines Staatshauptes mit
einem Präsidenten der Nationalversammlung in gehobener Stel-
lung begnügte und den Staatskanzler gleich den übrigen Regie-
rungsmitgliedern von der Nationalversammlung wählen läßt, zeigt
sich das Wesen eines solchen Duumvirats in den Beziehungen des
Präsidenten der Nationalversammlung zum Staatskanzler besonders
deutlich, doch bleibt es dafür ohne Belang, ob zwischen den bei-
den Männern äußerlich ein Verhältnis der Ueber- und Unterord-
nung besteht, ob einen von ihnen mehr oder weniger herrschaft-
liche Eigenschaften zugedacht sind oder nicht. Es kann sich da,
wenn wir im Bilde bleiben, un ein Duumvirat zu ungleichen
Rechten handeln. Die Hauptsache ist und bleibt, daß beide
Männer rechtlich und tatsächlich auf einander angewiesen und
zusammengewachsen sind, daß jeder ohne den andern nicht leben,
sondern höchstens sterben kann. So trieb zuletzt das Deutsche Reich
noch vor dem Umsturze einem solchen Duumvirate zu, weil die
totgeborene Verfassungsreform von 1918 durch den Ausbau des
Parlamentarismus und durch stärkeren Druck auf den Reichs-
kanzler dessen Stellung im Verhältnisse zum deutschen Kaiser
und zum Bundesrate unvergleichlich stärken mußte. So erklärt
es sich zur Not, daß der nach Abgang des Kaisers allein zurück-
gebliebene Duumvir Prinz von Baden, in dessen Hand sich nun-
mehr für einen Augenblick der Reichsapfel drehte, die Kanzler-
23 WITTMAYER, SCHMOLLERs Jahrbuch a. a. O., ferner Zeitschrift für
öffentliches Recht I. Bd. 1. u. 2. Heft, zu den Voraussetzungen und Grund-
problemen der provisorischen Verfassung von Deutschösterreich S. 92,
Deutscher Reichstag und Reichsregierung 1918; die Eıgebnisse dieser
Schriftenreihe können nunmehr zur Beurteilung eines so dankbaren Gegen-
standes wie die Reichsverfassung herangezogen und nachgeprüft werden.