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I.
Schon mehrmals sind wir auf diese Ministerverantwortlichkeit
gestoßen und immer in einem störenden Zusammenhange, der das Ver-
fassungssystem mehr oder minder verwirrt oder nicht in allen Teilen
als zeitgemäß erscheinen ließ. Wir sehen in der Reichsverfassung
alles, was auf Formalisierung und Schematisierung der Minister-
verantwortlichkeit hinaus will, im Interesse der Reichstagsherr-
schaft liebevoll gepflegt und auf Einrichtungen ausgedehnt, die
wie die neue Reichspräsidentschaft gewiß keine solche Einord-
nung verlangen. Diese Sucht der Verfassung, die Verantwortlich-
keitsbestimmungen so voll wie nur denkbar auszuprägen, steht
in einem bemerkenswerten Gegensatze zu den Revolutionstagen,
welche, ohne am Verantwortlichkeitsprinzip zu rücken, doch durch
den neuen Begriff der Volksbeauftragten mit dem Ministerial-
system zu brechen schienen, wohl aus der unklaren Empfindung
heraus, daß etwas vom Kreuze des Obrigkeitsstaates daran ist.
Und wenn die Verfassung trotzdem zu einem reinen runden Sy-
stem der ministeriellen Reichsregierung zurückgekehrt ist, wenn
sie jetzt Wünsche ausreifen ließ, die im vormaligen Obrigkeits-
staate vergeblich an die Pforte der Verheißung pochten, so kann
das wieder nur aus den überlieferten, noch in der Luft liegenden
Kämpfen des Unitarismus um eine einheitliche Reichsregierung
begriffen werden, in denen sich ANSCHÜTZ?®, ROSENTHAL” u. a.
verdient gemacht hatten und die auch jetzt noch in der nicht ein-
mal durch die Wirren der Zwischenzeit niedergehaltenen Nach-
wirkung den kräftigsten Impuls für die neue Verfassung abgaben.
Ueberzeugung hatte sich da längst zum Dogma verdichtet und
ließ nicht mehr locker, auch nicht als die dringendste Notwen-
digkeit mit der ‚durchaus geänderten Zeitlage hinweggefallen war.
Nur wer sich dieser Schlußabschnitte des Deutschen Reiches als
28 Zuletzt Parlament und Regierung im Deutschen Reich 1918.
2% Zuletzt Deutsche Literatur-Zeitung 1918. Nr. 23 u. 24; vgl. auch
WITTMAYER a. MO. und Deutscher Reichstag und Reichsregierung 1918.