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Verfassungsstaates entsinnt, den wird es nicht Wunder nehmen,
daß zu einer Zeit, da die demokratische Empfindung sieh schon
gegen den bloßen Ausdruck wendet und beispielsweise in der
deutsch-österreichischen Republik vom verpönten „Minister“ ab-
rückt, um „Volksbeauftragte* zu „Staatssekretären“ zu bestellen,
die deutsche Reichsverfassung — mit der vollsten Genugtuung
des endlich erlösten Unitarismus — auf der ganzen Linie rings
um den Reichskanzler herum lauter „Reichsminister“ erstehen läßt
(Art. 52).
Auf welcher Seite, in welchem Ausdruck die richtigere sprach-
liche Empfindung, die treffendere politische Wertung zur Geltung
kommt, ergibt in der Tat die Verankerung des Ministeramtes in
der Frühzeit des Verfassungsstaates als eine verzweifelte, keinen
Augenblick und nach keiner Seite lebenswahre Aussöhnung zwi-
schen den Grundlagen des Obrigkeitsstaates und den Anforderun-
gen des Volksstaats®®.
Mit dem Wegfall der Obrigkeit war eben das Wesentliche
die eigentümliche janusköpfige Orientierung des Ministeramtes und
damit auch der wichtigste Grund dahin, das Regierungsorgan, das
den einen Arm inzwischen frei bekommen hatte, in seiner omiI-
nösen; wenigstens zuletzt an eine beiderseitige Knebelung und
Lähmung gemahnende Benennung festzuhalten. Diese Benennung
war aber nun einmal zum Feldgeschrei des Unitarismus und Par-
lamentarismus geworden und bestimmte die Reichsverfassung, un-
entwegt die freigewordene Bahn zu verfolgen, welche obendrein
durch die Figur des möglichst herrschaftlich angelegten Reichs-
präsidenten gewiesen war, als des Nachfolgers und Erben des
deutschen Kaisers, dem die Verfassungsreform vom 28. Oktober
1918 eine ganz ähnlich zugestutzte Stellung zugedacht hatte. Mit dem
nunmehrigen republikanischen Reichspräsidenten, der im großen
und ganzen die Stelle einnahm®!, wurde nicht bloß der äußere Appa-
3° Vgl. WITTMAYER, zuletzt Zeitschrift für öffentl. Recht a. a. O. 8. 80.
sı Auf einzelne Abweichungen kommt es hier nicht an, Vgl. seither
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