Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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Verantwortlichkeit zu messen gewesen, an der ja der Reichsprä- 
sident, wie wir hörten, nicht bloß durch seine freie Absetzbarkeit, 
sondern noch weit mehr bei der jeweiligen Einsetzung und Er- 
haltung der Regierung höchst beteiligt ist. Einst als Schutz- 
mittel einer Parlamentsmehrheit gegen eine wesensfremde über- 
legene obrigkeitliche Macht könnte die alte juristische Verant- 
wortlichkeitsklausel heute nur einer Minderheit dienen, wenn sie 
nachträglich zur Mehrheit gelangt, und somit auch auf das eigene 
engste Anwendungsgebiet beschränkt nur ein politisches Macht- 
mittel bedeuten, nach welchem von hinterher kein großes Bedürf- 
nis besteht. Ein allgemeineres Parlamentsinteresse an der Geltend- 
machung eines solchen Kampfimittels wäre bloß im unwahrschein- 
lichsten und unwirklichsten aller Fälle denkbar, daß auch die 
Mehrheit gegen die Entrechtung und Bedrückung der aus ihr her- 
vorgegangenen Regierung des Schutzes bedürftig wäre. Etwa 
nach dem von WIESER entwickelten „Gesetz der Herrschaft der 
Wenigen“ oder „Gesetz der kleinen Zahl“ *, das in unserem Falle 
gleichsam das Parlament ebenso der Regierung ausliefern würde, 
wie die Wählerschaft selbst schon nach Rousseau der Volksver- 
tretung, weil immer der kleinere straffer organisierte Kreis dem 
andern vorginge. Einem tüchtigen unternehmenden Juristen ge- 
länge gewiß auch so eine Konstruktion! 
Es liegt aber auf der Hand, daßgein für solche Konstruk- 
tionen von weither ausgeborgtes Rechtsinstitut diesen fremden 
Zwecken kaum nutzbar gemacht werden könnte und sich in dieser 
Richtung um so mehr erübrigt, als ja damit nach seinem strengen 
Sinne nur dort ein Schutz geboten wäre, wo das geringste Be- 
dürfnis besteht. Wegen ausgesprochener Rechtswidrigkeiten be- 
darf die größere Zahl eines solchen Schutzmittels nicht und es 
täte weit eher not, um den vollen Einfluß der Reichstagsherr- 
schaft in den intimeren Fragen der Reichsverwaltung und in 
jedem Politikum zu wahren. Dafür gibt es aber heute, ganz ab- 
“ Recht und Macht, Sechs Vorträge 1910, S. 9 ff. 
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIX. 4. 99
	        
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