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Funktionen den stimmberechtigten Staatsbürgern übertragen. Bei
der begrifflichen Festlegung des Umfangs der einzelnen Funktio-
nen zeigt die Verfassung aber starke Unklarheiten. So wird in
den $$ 8 und 56 der Begriff „Vollziehung“ in ganz verschiedenem
Sinne gebraucht. Nach 88 wird die Vollziehung „nach Maßgabe
der Verfassung durch das Volk, den Landtag und das von diesem
berufene Staatsministerium“ ausgeübt. Gemeint ist hier Voll-
ziehung als Ausführung der Gesetze‘. Dagegen überträgt 8 56
dem Staatsministerium „die Vollziehung und Verwaltung (Regie-
rung)“, versteht also hier unter Vollziehung einen Zweig der
Regierung. Auch bier haben sich die Väter der badischen Ver-
fassung die wissenschaftliche Begriffsbildung nicht zunutze gemacht.
Im einzelnen nun sind sowohl der Staatspräsident, wie die ein-
zelnen Minister nach der württembergischen Verfassung selb-
ständiger gestellt wie in der badischen. Der Staatspräsident
als solcher, nicht wie in Baden das Staatsministerium ($ 56), ver-
tritt in Württemberg den Staat nach außen ($ 32). Er schließt
die Staatsverträge ab, bedarf dazu allerdings der Zustimmung des
Staatsministeriums und des Landtags. Nach $ 29 Abs. 3 der
badischen Verfassung bedürfen dagegen alle Staatsverträge zu
ihrer Gültigkeit der Gesetzesform, d. h. ihr Inhalt wird durch den
Landtag festgestellt, das Staatsministerium handelt beim Abschluß
nur in seinem Auftrag. In Württemberg bedarf es dagegen des
Zusammenwirkens der drei Faktoren, Staatspräsident, Staatsmini-
sterium und Landtag®. Fbenso steht das Begnadigungsrecht in
Württemberg dem Staatspräsidenten als solchem ($ 33), in Baden
dem Staatsministerium, zu ($ 16 Abs. 3). Nach der badischen Ver-
* Vgl. z. B. Fuemmer, Institutionen, 8. Aufl. S, 4.
5 Ueber das Verhältnis dieser einzelnen Funktionen zueinander vgl.
die zit. Stellen bei OTTO MAYER und FLEINER.
* Diesen Unterschied betont auch GIESE für die Reichsverfassung in
seinem neuen Handkommentar zur Reichsverfassung, Anmerkung 16 zu
Artikel 45 (Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919,
Taschenausgabe, erläutert von GIESE 8. 167).