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unsicher sein. Es ist selbstverständlich, daß die Urheber der Ver-
fassung bei der Regelung des Gesetzgebungsprozesses, namentlich
bei der Verteilung der entsprechenden Kompetenzen, von einer
ganz bestimmten Schätzung der in unserem staatlichen Organismus
vorhandenen Kräfte ausgegangen sind. Allein man kann jetzt, wo
so vieles in Neu- und Umbildung begriffen ist, noch keineswegs
sagen, ob sie jene Kräfte richtig beurteilt haben. Und soweit es
der Fall sein sollte, können sich die Verhältnisse doch unter Um-
ständen schon in naher Zukunft verschieben. Welche Rolle z. B
das Einspruchsrecht des Reichsrats spielen wird, bängt natürlic
ganz von der Frage ab, ob der Reichsrat überhaupt ein größere
Maß von politischem Einfluß gewinnen wird, — eine Frage, dere
Beantwortung ihrerseits wieder von sehr vielen unsicheren Fak
toren, namentlich von der Art der Zusammensetzung des Reichs
rats, von der Bildung der „Länder“, von der Stellung Preußen
ım Reiche abhängig ist. Die politische Autorität, die sich der Reichs
präsident verschaffen wird, muß einen bedeutenden Einfluß auf
den ihm zugedachten Anteil an der Reichsgesetzgebung ausüben.
Die gesetzgeberische Tätigkeit des Reichstags wird sehr wesentlich
durch die Entwickelung bestimmt werden, die das Leben und die
Organisation der politischen Parteien und der Fraktionen erfahren
wird. Wie der Reichswirtschaftsrat, in dem die Verfassung ein
seltsames Gemisch von „sozialem Selbstverwaltungskörper“* und
erster Kammer hergestellt hat, auf den Gang der Gesetzgebung
einwirken wird, liegt vorläufig noch völlig im Dunkeln. Nach
alledem wird eine Behandlung unseres Themas wahrscheinlich
schon nach einigen Jahren sehr viel lebendiger und farbenreicher
sein, als sie es heute zu sein vermag. Das, was eine staatsrecht-
liche Betrachtung erst wahrhaft reizvoll macht, die Beobachtung
des Verfassungsrechts unter Gesichtspunkten politischer Dynamik,
das muß zur Zeit notwendigerweise zu kurz kommen. Ich muß
also den Leser bitten, fürs erste mit einer ganz schlichten und
anspruchslosen Schilderung vorlieb zu nehmen, die nichts anderes