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Ebenso würde es materiell verfassungswidrig sein, wenn ein
einfaches Gesetz bestimmen wollte, daß es selbst oder ein Teil
seiner selbst nur durch einen Volksentscheid, oder daß es nur
mit Zustimmung eines Dritten, der nicht zu den Faktoren der
Gesetzgebung gehört, also z. B. nur mit Zustimmung eines
bestimmten Einzelstaats aufgehoben oder geändert werden dürfe
— wie das früher in RV. Art. 78, Abs. 2 für die ver-
fassungsmäßigen Sonderrechte angeordnet war. Denn eine Vor-
schrift dieser Art würde zugunsten eines Einzelstaats ein die
Gesetzgebungskonipetenz des Reichs einschränkendes Sonderrecht,
ein Vetorecht gegenüber dem Gesetzesbeschlusse der verfassungs-
mäßigen Organe des Reichs begründen; solche Sonderrechte kön-
nen offenbar nur durch die Verfassung selbst und, wenn sie dort
keine Grundlage finden, nur durch verfassungsänderndes Gesetz
geschaffen werden. Es darf uns nicht irreführen, daß wir Be-
stimmungen jener Art in früheren Reichsgesetzen wiederholt an-
treffen; man hat manchmal den süddeutschen Staaten als Entgelt
für den Verzieht auf ein Reservatrecht das Zugeständnis gemacht,
daß eine weitere Abänderung des nunmehr geschaffenen gesetz-
lichen Zustands in gewissem Umfange von ihrer Einwilligung ab-
hängen solle®. Aber auch unter der Herrschaft der ehemaligen
Reichsverfassung hatte das jedesmal die Bedeutung einer Ver-
fassungsänderung?. Nur brauchte man sich damals über die Ver-
fassungsmäßigkeit solcher Klauseln nieht viel Kopfzerbrechen zu
machen ; denn bekanntlich war die Aenderung der Reichsverfassung
an keine sehr schweren Formerfordernisse gebunden, sie bedurfte
vor allem keiner erhöhten Mehrheit im Reichstage.
8 Vgl. 2. B. RG. betr. die Besteuerung des Branntweins, v. 24. Juni
1887 (RGBl. S. 253), $ 47, Abs. 2. — Branntweinsteuergesetz v. 15. Juli
1909 (RGBl. S. 661), $ 154. — RG. zur Einführung des Ges. über den Unter-
stützungswohnsitz im Königreich Bayern, v. 30. Juni 1913 (RGBl. S. 495),
8 1. — RG. über das Branntweinmonopol v. 26. Juli 1918 (RaBl. S. 887),
8 259.
®» So mit Recht HAneı, Deutsches Staatsrecht 1, S. 821.