Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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gangenen Beschluß der Reichsregierung Bezug zu nehmen. Diese 
Unterlassung ist in jedem Falle inkorrekt. Denn dem Reichstage muß 
Kenntnis davon gegeben werden, daß dem Erfordernisse des Art. 57 
Genüge geschehen ist. Aber auch im übrigen steht, wie ich glaube, 
das Verfahren nicht im Einklange mit dem Geiste der Verfassung *. 
Allerdings hat diese bekanntlich die Kollegialität des Gesamt- 
ministeriums nur unvollkommen durchgeführt. Es sollte, wie man 
sich in Weimar ausdrückte, eine „politische Kollegialität“ der 
Reichsregierung bestehen; aber die Kollegialverfassung sollte nicht 
als „juristische“ grundgesetzlich festgelegt werden. Insbesondere 
wollte man nicht, daß dem Reichstage „ein in sich geschlossenes Kol- 
legium im juristischem Sinne gegenüberstehe“‘, weil dies für die 
Geltendmachung der Verantwortlichkeit seine Bedenken haben 
würde ®. Allein in Wirklichkeit hat die Verfassung an einer 
Reihe von Stellen der Reichsregierung Befugnisse zugeteilt, die 
nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes nur von der Regierung 
als Kollegium wahrgenommen werden können. Daher ist der 
Ausdruck „Reichsregierung* zwar vielfach im Sinne von „zu- 
ständiger Minister* — so z. B. für die Ausübung des Ver- 
ordnungsrechts nach Art. 77°?% —, anderwärts aber im Sinne 
von „Gesamtkabinet“ zu verstehen; als Beispiel für das zweite 
mag die Einberufung des Reichsrats nach Art. 64 oder die An- 
ordnung der Volksabstimmung bei Gebietsveränderungen nach 
Art. 18, Abs. 4 dienen. Nun ist aber die Einbringung eines 
Gesetzentwurfs eine Aktion der Regierung, die immer — ohne 
Rücksicht auf den Umfang und den Inhalt des Gesetzes — eine all- 
  
  
zu bemerken, daß der Entwurf Nr. 226 vor Inkrafttreten der Verfassung 
vorgelegt worden ist. 
s Ebenso GIESE 8. 209. Anders PoETZScH S. 88. 
35 Reichsminister PREUSS im Verfassungsausschuß, 5. Sitzg. vom 12. März 
1919, S.3. — Daher nach Art. 56 die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers 
für die Richtlinien der Politik, die Verantwortlichkeit des einzelnen Mini- 
sters für den ihm anvertrauten Geschäftszweig. 
ss PoxtzscH 8. 73, 93. — A. M. GIESE S. 228,
	        
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