Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

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Es ist Initiative genau in demselben Sinne wie die Initiative der 
Reichsregierung oder des Reichsrats *. 
Ob die Volksinitiative bei uns dieselbe Rolle spielen wird 
wie in den vergleichsweise kleinen Staaten, deren Verfassungen 
man die neue Einrichtung entlehnt hat, ist zweifelhaft. Legt man 
die Listen zugrunde, die für die Wahlen zur Nationalversamm- 
lung aufgestellt worden sind, so hätte man mit vierzig Millionen 
Stimmberechtigter zu rechnen, und es würden sich daher nicht weniger 
als vier Millionen Reichsbürger zu einem Volksbegehren zusam- 
menfinden müssen. Auch bei Berücksichtigung der schweren Ver- 
luste an Volkszahl, die uns die Erfüllung des Versailler Friedens 
bringen wird, kämen wir doch immer noch auf eine Zahl von 
etwa dreieinhalb Millionen. Abgesehen von der Umständlichkeit des 
Verfahrens und den großen Kosten, die seine Durchführung verur- 
sacht, wird es nicht immer leicht sein, eine solche Menge von Per- 
sonen auf einen Antrag zu vereinigen. Zumal die Verfassung nur 
“ Die schiefe Formulierung des Abs. 3 erklärt sich aus der Geschichte 
seiner Entstehung Die beiden Anträge, die im Verfassungsausschusse 
auf Einführung der Volksinitiative gestellt wurden (s. unten S. 495 Anm. 51), 
gingen davon aus, daß die Initiative in jedem Falle zu einer Volksab- 
stimmung führen müsse. Der Reichstag sollte nur das Recht der „Beratung“, 
der „Verhandlung“ über den begehrten Entwurf haben. Darnach würde der 
vom Reichstage festgestellte Gesetzestext in der Tat bloß ein Entwurf 
gewesen sein. Das deckte sich mit der Auffassung, die man in der Schweiz 
vom Wesen der Volksinitiative hat. Man faßt sie dort stets als Antrag 
andas Volk auf, auch wenn der Antrag den Umweg über die Volks- 
vertretung machen muß. Daher denn auch bei unveränderter Annahme 
einer formulierten Initiative durch das Parlament die Volksabstimmung 
fast überall obligatorisch ist. Vgl. z. B. HıuTy, Archiv f. öffentl. Recht 2, 
S. 417. — KELLER, Das Volksinitiativrecht (1889), S. 57, 131. — Kuaus, 
Die Frage der Volksinitiative in der Bundesgesetzgebung (Diss. Zürich 1906) 
S. 4. — SCHOLLENBERGER, Das Recht 23 (1919), Sp. 5l. — S. auch SCHWARZ, 
Grünhuts Zeitschr. 33, S. 405. Die Reichsverfassung von 1919 hat aber die 
Sache anders konstruiert. Das Volksbegehren ist Initiative gegenüber dem 
Reichstage, dem der Antrag durch Vermittelung der Reichsregierung 
zugeht. (Dag Begehren ist nicht, wie GIEsE S. 218 annimmt, an den 
Reichspräsidenten zu richten).
	        
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