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Jedes an sich statthafte Volksbegehren muß von der Reichs-
regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstage
unterbreitet werden. Ob die formellen Voraussetzungen der Volks-
initiative vorliegen, und ob sich die Regierung mit deren In-
halte einverstanden erklären will oder nicht, ist, wie immer, durch
Beschluß des Gesamtkabinetts nach Art. 57 festzustellen. Einer
Vorlegung an den Reichsrat bedarf der Initiativantrag nicht ®. Im
Reichstage ist das Volksbegehren ebenso zu behandeln wie die
auf einer Initiative anderer Organe beruhenden Gesetzentwürfe.
Eine Zurücknahme des Volksbegehrens ist aus äußeren Gründen
unmöglich. Denn sie würde voraussetzen, daß sich dieselben,
nach Millionen zählenden Bürger, die das Begehren gestellt haben,
zu einem Widerrufe zusammenfänden. Auch ist nicht anzunehmen,
daß die Initianten den Personen, die das Unternehmen geleitet,
etwa stillschweigend die Vollmacht erteilt hätten, das Begehren
im Namen Aller zurückzuziehen 3.
Der in der Literatur gelegentlich erörterte Fall, daß sich
mehrere, von verschiedenen Seiten ausgehende Volksbegehren
auf denselben Gegenstand beziehen, ist so unwahrscheinlich, daß
er aus dem Kreise der Betrachtung ausscheiden kann. Sollte er
sich wirklich ereignen, so müßten die mehreren Begehren durch-
weg als selbständige Gesetzentwürfe behandelt werden. Dasselbe
hätte auch dann zu geschehen, wenn sich etwa ein Volksbegehren
mit einem von der Reichsregierung oder von einem andern Initiativ-
berechtigten dem Reichstage zugegangenen Entwurfe inhaltlich
decken sollte —- was schon eher denkbar wäre °%.
wurf im Reichstag verbandelt worden ist.* Abs. 4 fuhr fort: „Auf den
Haushaltsplan findet diese Bestimmung“ — also jedenfalls der ganze Abs. 3 —
„keine Anwendung“. Auch hier wurde also das ganze Verfahren der
Volksinitiative in bezug auf Etatsgesetze ausgeschlossen.
5 Art. 69 schlägt nicht ein; GIESE 8. 211.
53 Vgl. v. WALDKIRCH, Die Mitwirkung des Volkes bei der Rechts-
setzung (Bern 1918), S. 69, Anm. 3.
“ v. WALDKIROH, 8. a. O. S. 60, 82.