Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 39 (39)

ein Zwanzigstel der stimmberechtigten Reichsbürger das Verlangen 
stellen — die Verfassung sagt ungenau „beantragen“ — daß ein vom 
Reichstage angenommenes Gesetz dem Volksentscheide unterbreitet 
werde; natürlich liegt dem Antrage der Wunsch zugrunde, das 
Gesetz zu Falle zu bringen. Wird der Antrag gestellt, so muß 
der Reichspräsident den Volksentscheid herbeiführen. Allerdings 
setzt der Referendumsantrag eine Anregung aus der Mitte des 
Reichstags voraus. Es muß nämlich vorher ein Drittel des Reichs- 
tags — gemeint ist selbstverständlich „mindestens“ ein Drittel, 
und zwar ein Drittel der wirklichen, nicht der gesetzlichen Mit- 
gliederzahl — das Verlangen ausgesprochen haben, daß die Ver- 
kündung des Gesetzes, die an sich nach Art. 70 binnen Monats- 
frist erfolgen müßte, um zwei Monate ausgesetzt werde®. Der 
Gedanke ist, daß der Minderheit des Reichstags die Möglichkeit 
gegeben werden soll, gegen die Mehrheit durch Anrufung des 
Volks vorzugehen; das Referendum versieht also hier zugleich 
die Funktion eines Schutzmittels für die Minorität. Nur daß 
die Minderheit des Reichstags den Volksentscheid nicht unmit- 
telbar herbeiführen kann, sondern nur, wenn es ihr gelingt, 
einen Bruchteil der Stimmberechtigten zur Stellung des Referen- 
dumsantrags zu veranlassen ®°. 
s2 Nach dem Wortlaute des Art. 72 würde das heißen: um zwei Monate, 
gerechnet vom Tage der Schlußabstimmung des Reichstags, nicht um zwei 
Monate über die im Art. 70 gesetzte Monatsfrist hinaus. 'I’rotzdem ist 
die Bestimmung wohl so zu verstehen, daß die Frist des Art. 70 um zwei 
Monate verlängert werden solle. Ebenso ZÖPHEL, a. a. O. S. 91; auch 
Preuss, Sitzg. der Nationalvers. vom 7. Juli 1919, Sten. B,S. 1355. Anders 
PoETzscH S. 89. Für unsere Annahme spricht, daß auch in den Fällen 
des Art. 74, Abs. 3 die Frist für den Volksentscheid auf drei Monate be- 
messen ist. — Eine Frist für die Stellung des Verlangens ist in Art. 
72 nicht gesetzt. Es genügt daher, wenn es vor der Verkündung des 
Gesetzes gestellt wird. Der Natur der Sache nach wird es regelmäßig 
sofort nach der Schlußabstimmung im Reichstage erhoben werden. 
e® Auch für die Stellung des Referendumsantrags ist in Art. 73, Abs. 2 
keine Frist bestimmt worden. Wie ich glaube, genügt es, wenn der An- 
trag innerhalb der drei Monate eingeht, bis zu deren Ablauf die Ver-
	        
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