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3. Denn — und dies ist die dritte Ausnahme von dem unbe-
dingten „Sanktionsrechte“ des Reichstags — eine Volksabstimmung
ist von der Verfassung vorgesehen als Komplement des Volks-
begehrens (Art. 73, Abs. 3). Lehnt der Reichstag das Volks-
begehren ab, oder nimmt er es mit Veränderungen an, so muß
ein Volksentscheid stattfinden?®. Und spricht sich hierbei das
Volk gegen den Reichstag aus, so muß das Gesetz in der Fassung
verkündet werden, die ihm der Volksentscheid gegeben hat. Voraus-
gesetzt freilich, daß sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an
der Abstimmung beteiligt (Art. 75), und bei Verfassungsänderungen.
daß sich die Mehrheit aller Stimmberechtigten gegen den Reichstag
erklärt (Art. 76, Abs. 1a. E.). Trifft diese Voraussetzung nicht
zu, so entkräftet der Volksentscheid den Reichstagsbeschluß nicht.
Hatte also der Reichstag das Volksbegehren mit Veränderungen
angenommen, so wird es in diesem Falle Gesetz in der Fassung,
die ihm der Reichstag verliehen hat”.
Nimmt der Reichstag den der Volksinitiative entstammenden
Entwurf unverändert an, so unterbleibt der Volksentscheid.
Allerdings ist damit der Reichstagsbeschluß noch nicht gegen jede
Anfechtung gefeit. Denn es kann gegen ihn sowohl kraft selb-
ständiger Anordnung des Reichspräsidenten (Art. 73, Abs. 1), als
auch durch Antrag auf Referendum (Art. 72, 73, Abs. 2) eine
Volksabstimmung herbeigeführt werden; auch ein Einspruch des
Reichsrats ist möglich ?”. Wollte man den Reichstagsbeschluß in
jenem Falle für endgültig erklären, so würde man dem Volks-
begehren als solchem eine Bedeutung zuschreiben, die ihm die
Verfassung schwerlich zugedacht hat.
?° Hiergegen hilft auch eine Dringlichkeitserklärung nicht.
Nach dem Zusammenhange der einschlagenden Verfassungsbestimmungen
ist sie in diesem Falle ausgeschlossen.
7 Vgl. hierzu Abg. WAunsTEın, Sitzg. der Nationalvers. v. 31. Juli
1919, Sten. B. S. 2157.
”2 S, dazu unten S. 514, Anm. 84 und S. 520 f.