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oder Volk — die Herrschaft über das weitere Verfahren verliert.
nachdem es den Gesetzesbeschluß erklärt hat. An die Erklä-
rung ist es gebunden, es kann sie nicht zurücknehmen !%,
Ausfertigung wie Verkündung sind Recht und Pflicht des
Reichspräsidenten (Art. 70), und falls dieser verhindert
ist, seines Vertreters (Art. 51). Für die Unterlassung der ge-
botenen Verkündung würden der Reichskanzler und die zustän-
digen Reichsminister verantwortlich sein (Art. 50, 56); sie, aber
auch der Reichspräsident selbst, würden sich wegen der pflicht-
widrigen Unterlassung möglicherweise vor dem Staatsgerichtshofe
zu verantworten haben (Art. 59)1%6. Der Ausfertigung und
Verkündigung unterliegen alle Gesetze, gleichviel wie sie zu-
standegekommen sind. Also auch Gesetze, die nicht der Reichs-
tag, sondern das Volk im Volksentscheide endgültig festgestellt hat.
1. Ueber das Wesen der Ausfertigung wird man sich
vermutlich in Zukunft ebenso streiten, wie man sich unter der
Herrschaft der ehemaligen Reichsverfassung über die‘ Bedeutung
der kaiserlichen Ausfertigung gestritten hat. Die Frage hängt
bekanntlich eng zusammen mit dem Problem des richter-
lichen Prüfungsrechts in bezug auf die Verfassungs-
mäßigkeit der Gesetze. Ich will und kann diese große Frage
an dieser Stelle nicht eingehend erörtern!%. Sie ist im Verfas-
sungsausschusse der Nationalversammlung erörtert worden; es lag
wohl an der Eile. zu der man den Ausschuß genötigt hatte, daß
die Verhandlung hier keineswegs auf der Höhe stand, zu der man
sich angesichts der ungeheuren Tragweite der Angelegenheit
hätte emporschwingen müssen. Die Ansichten standen sich schroff
gegenüber. Man ist schließlich zu einer Einigung nicht gelangt,
1% Die gegenteilige Behauptung STIER-SoMmLos, a. a. O. 8. 153 ist
sicher irrig. Richtig GIESE S. 225.
105 Vgl. Reichsminister PrEuss, 25. Sitzg. des Verfassungsausschusses
vom 8. April 1919, 8. 37.
108 Die reichhaltige Literatur ist zusammengestellt bei MEYER- AnSCHÜTZ,
a. a. O. S. 736 ff.