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wart. Und auch ibn beschäftigt die heute so brennende Frage: wie grenzt
man die Befugnisse des berufständischen und des politischen Parlaments
gegeneinander ab und sind beide überhaupt nebeneinander lebensfähig?
Alle diese Fragen sind ja heute durch die Revolution und das Aufsteigen
des vierten Standes zum Anteil an der politischen Macht nur noch ver-
wickelter geworden.
Der letzte Aufsatz „Die Gegenzeichnung und ihre Folgen“ behandelt
diese Frage für die Staatsform des Konstitutionalismus. Aber diese grund-
sätzlichen Erörterungen sind natürlich auch für die parlamentarische Re-
gierungsform von größter Bedeutung. So vertritt z. B. BınDInG (S. 403)
die Ansicht, der neuernannte Minister dürfe seine Ernennung selbst kontra-
signieren. Aber diese Gegenzeichnung sei nichtig, wenn der Minister ver-
fassungsmäßig zum Minister nicht ernannt werden dürfte. Nach der neuen
Reichsverfassung fließt nun aber beides ineinander. Nach Art. 50, 53 be-
darf die Ernennung der Reichsminister durch den Reichspräsidenten der
Gegenzeichnung. Man wird nun zunächst zweifelhaft sein können, ob diese
Gegenzeichnung durch den Neuernannten selbst geschehen kann, falls sich
etwa der ınit der Reichstagsmehrheit gehende bisherige Reichskanzler
weigern sollte die Gegenzeichnung zu vollziehen. Aber gibt man das auch
zu, so wäre auch nach BINDInGs Ansicht diese Gegenzeichnung nichtig,
falls der Reichspräsident einen Minister ernennen will, von dem er weiß,
daß er nicht das nach Art. 54 RV. zu seiner Amtsführung erforderliche
Vertrauen des Reichstags hat. Daß dadurch das Auflösungsrecht des Reichs-
präsidenten illusorisch wird, ist nur die notwendige Konsequenz der Tat-
sache, daß man den Reichspräsidenten für diesen Fall nicht von der Gegen-
zeichnungspflicht befreit hat.
So führen viele Brücken von den Ausführungen BINDINGs zu den heute
besonders brennenden Problemen.
Und gerade diese Zwischenstellung gibt dem Buche seinen Wert. So
erscheint es besonders geeignet, die akademische Jugend in die Probleme
staatsrechtlichen Denkens einzuführen.
Koellreutter.
Heinrich Triepel, Die Reichsaufsicht. Untersuchungen zum Staatsrecht
des Deutschen Reiches. Berlin 1917, XX + 734 8.
Der Berichterstatter hat die Besprechung in einem so vorgerückten
Zeitpunkte übernommen, daß eine Gedenkfeier eher am Platze wäre als
eine eingehende Auseinandersetzung mit dem großangelegten Werke
TRIEPELs, das heute keiner Einführung mehr bedarf und seinen Weg längst
von selbst genommen hat. Die beste Würdigung, die dem Buche heute
gezollt werden kann, scheint mir ein Rückblick auf diesen Weg und den
unverkennbaren Erfolg, den TRIEPEL seither zu verzeichnen hatte, obwohl