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ordnungen, sei es nun zufolge unmittelbarer Delegation der
vorausgesetzten Staatsrechtsordnung, sei es auf dem Um-
wege der staatlich delegierten Völkerrechtsordnung als Teil-
ordnungen der zum Ausgangspunkt genommenen Staats-
rechtsordnung zu begreifen. Man kann sich darüber keiner
Täuschung hingeben, daß diese mannigfaltige (scheinbare) Rechts-
erfahrung infolge der zahllosen inhaltlichen Widersprüche zwi-
schen den einzelnen Rechtsordnungen nicht reibungslos und aus-
nahmslos in das System eines beliebigen Staatsrechtes eingehen
werden, doch braucht diese — von KELSEN übrigens nicht weiter
verfolgte — Erwägung kein Hindernis zu sein, die Vorstellung
des Primates einer bestimmten Staatsrechtsordnung zu vollziehen
und darauf ein (doch immerhin den Großteil der a priori außer-
staatlichen und fremdstaatlichen Rechtserfahrung in sich schlie-
ßendes) Staatsrechtssystem zu gründen. „Die aller Erkenntnis und
so auch der juristischen innewohnende Tendenz zur Einheit über-
windet in der Hypothese, die als der Primat der einzelstaatlichen
Rechtsordnung bezeichnet wurde, die — vorerst gegebene — Viel-
heit der Rechtsordnungen oder Staaten in der Weise, daß sie die
eigene staatliche Rechtsordnung über die andere ausdeht, und so
— formell, wenn auch nicht materiell — zu einer Universal-
ordnung gestaltet. Das ist unzweifelhaft der letzte Sinn jeder
juristischen Erkenntnis, jeder diese Erkenntnis begründenden,
ermöglichenden Hypothese. Und darum muß auch die
Konstruktion des Primates staatlicher Rechts-
ordnung als eine echte juristische Hypothese
gelten“. (8. 188) Umso eher gilt dies aber für KELSEN
von der Konstruktion des völkerrechtlichen Primates.
Nach allgemein anerkannter Auffassung gehört zum Wesen
und Begriff des Völkerrechtes, daß es eine Gemeinschaft gleich-
berechtigter Staaten konstituere. „Die Vorstellung der
Koexistenz einer Vielheit von Gemeinwesen, die trotz der tatsäch-
14 Von mir gesperrt.