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er (vgl. Art. 50) bei allen Staatsakten nicht entraten kann, selbst dort
materiell gebunden, wo er — das plebiszitäre und deshalb scheinbar dem
Reichstag gegenüber unabhängig gestellte Staatshaupt — Waffen von der
Art des Vetos und der Reichstagsauflösung besitzt (vgl. S. 78 ff., aber
auch 82, 83).
Sehr wertvoll durch ihre sorgfältige Analyse und Erörterungen aller
möglichen Eventualitäten sind die Ausführungen NAwIASKYs über Volks-
begehr und Volksentscheid (S. 96 ff.), über die Stellung desReichskanzlers und
der Reichsminister (S. 90 ff.), und schließlich die eingehende Erörterung der
Grundrechte (S. 126 ff... Vermißt habe ich in der vorzüglichen Darstellung
NaAwıasKys eine Vergleichung mit den Verfassungen namentlich Amerikas,
der Schweiz, Frankreichs und der Republiken Belgien und England. Da-
gegen entspricht es durchaus der Anlage des Buches, wenn ihr eine histo-
rische Einleitung vollkommen abgeht.
Solche sind sowohl STIER-SOMLOs und JELLINEKs systematischen Dar-
stellungen wie GIEsEs Kommentar vorausgeschickt.
Die JELLINEKsche Darstellung setzt mit dem 9. November ein. Was
sie auszeichnet, ist weniger die Geschichte der Revolution von jenem Un-
glückstag bis zur Verkündung der neuen Magna Charta, als die gediegene
Sorgfalt, mit der die einzelnen irgendwie bedeutsamen Gesetze und Ver-
ordnungen der revolutionären und dann der provisorischen Staatsgewalt
vorgeführt werden. Weiter holen STIER-SOMLO und GIESE aus: sie knüpfen
an die Reformgesetzgebung der kaiserlichen Regierung von 1918 an. Dabei
wird die rechtliche Natur der revolutionären Regierung erörtert, wobei
beide Autoren zu dem Ergebnis kommen, daß das alte Reich im November
untergegangen war, ein neues sich gebildet hat (vgl. STIER-SOMLO 17, aber
auch 58, 59, Gıese 11). Eingehend behandelt STIER-SoMLo das Gesetz über
die vorläufige Reichsgewalt, die Verfassungsentwürfe (hier ist die Kritik
des Entwurfes Preuß S. 39 mit der berechtigten Abwehr ihrer preußen-
feindlichen Tendenz und das berechtigte Eintreten für das Zweikammer-
system besonders hervorzuheben), das Uebergangsgesetz vom 4. März 1919.
das die Legalisierung des vor- und nachrevolutionären Rechts beinhaltet».
Hier wird — im Anschluß an verschiedene Gerichtsentscheidungen — das
Problem erörtert, ob die Volksbeauftragten und später die Reichsregierung
bis zum 10. Februar 1919 die Befugnis zum Erlaß von Rechtsnormen be-
saßen, eine Frage, die von STIER-SOMLO im Hinblick auf die tatsächliche
Macht der Revolutionsregierung bejaht wird. Was nun die systematische
Darstellung der neuen Verfassung selbst anlangt, so ist es doch wohl etwas
® Merkwürdigerweise findet sich nirgends ein Hinweis auf die eminent
große völkerrechtliche Bedeutung dieser Frage: zwar: Forma regiminis mu-
tata non mutatur civitas ipsa — aber hier war mehr als ein bloßer
Wechsel der Staatsform erfolgt!
Archiv des öffentlichen Rechts. XLI. 2. 16