Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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„Die Behauptung, daß die parlamentarische Parteiregierung einen 
demokratischen Charakter habe, verwerdet zwei falsche Gleichungen und 
zwei falsche Auffassungen. Erstens wird die Mehrheit des Parlamentes 
dem Parlamente gleichgesetzt, mit anderen Worten, es wird der Partei- 
charakter der Kabinettsregierung verschleiert. Eine Widerlegung des 
Irrtums, daß das Parlament seiner Mehrheit gleich sei, ist überflüssig. 
Zweitens wird das Parlament dem Volke gleichgesetzt. Aber die Be- 
schlüsse eines Parlamentes sind kein treuer Ausdruck der Volksseele, 
ganz abgesehen davon, daß die meisten Beschlüsse Mehrheitsentschei- 
dungen sind.“ 
Die Fiktion, daß die jeweilige Mehrheit des Parlamentes 
den wahren und richtigen Volkswillen zum Ausdruck bringe, ist 
um so gefährlicher, als bekanntermaßen der größere Verstand 
und die größere staatsmännische Einsicht keineswegs immer bei 
der Mehrheit zu finden ist. „Mehrheit ist der Unsinn“, sagt 
Schiller, „Verstand ist stets bei Wen’gen nur gewesen“ (De- 
metrius 1. Akt). Zudem gibt es Eintscheidungen, bei denen von 
einer Kompetenz der Mehrheit gar nicht die Rede sein kann. So 
in allen wissenschaftlichen und religiösen Fragen. „Ein Mehr- 
heitsbeschluß hat nur da einen vernünftigen Sinn, wo es sich 
  
  
„Was die Volksvertretung innerhalb des Kreises ihrer Befugnisse in ver- 
fassungsmäßiger Form beschließt, gilt als Willensausdruck der 
Nation.“ Alles das muß entsprechend auch für die Parlamente der re- 
präsentativen Republik gelten. — v. BLUME im Handb. der Politik 2. Aufl, 
S. 339 verneintauch, daß in der Wahl zum Parlamente immer der Wille 
der Wählerschaft zum richtigen Ausdruck komme. Denn der Wille 
der Wählerschaft werde nicht erzeugt durch Austausch der Gedanken unter 
denen, die an der Willensbildung teilnehmen, sondern in Wählergruppen. 
Es fehle dieser Willensbildung ganz und gar die Einheitlichkeit, die bei 
der Urabstimmung in der Volksversammlung eines kleinen Staates durch 
die Einheit der Handlung gewährleistet sei. Man komme mithin, wenn man 
in der Wahl des Parlamentes eine Willenskundgebung der Wählerschaft 
sehen wolle, ohne Fiktion nicht aus. 
es Ich kann deshalb auch nicht der Meinung von Dr. ADELHEID 
MEUSCHEL im Arch. d. öff. Rechts Bd. 41 S. 27 beipflichten, daß „beim 
parlamentarischen System der bestimmte Einfluß auf die Regierungsbildung 
dem Volke gebühre“, noch weniger der Bemerkung ebenda 8. 52, daß 
„bei diesem System der Wille des Volkes auf direktem Wege die 
Regierungsbildung zu bestimmen vermöge.“
	        
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