Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

— 1% — 
entscheidungen vor November 1918, die das Prüfungsrecht des 
Richters gegenüber Gesetzen ablehnen, überholt, ganz abgesehen 
davon, daß wie BÜHLER richtig feststellt, unsere Richter dieses 
Prüfungsrecht schon immer ausgeübt haben und noch immer aus- 
üben in Beziehung auf Landesgesetze, so daß also die Gerichte 
auch keine für die Verneinung der Frage einheitliche Front dar- 
stellen. 
Auf die schon oben angedeutete wichtige Unterscheidung von 
Verfabrens-- und materiellem Mangel leitet zurück die von 
W. JELLINEK (DJurZtg. 1921 S. 754) in die Erörterung ge- 
worfene Idee, daß Nichtigkeit nur die seltene Folge fehlerhafter 
Staatsakte se. Auch Verordnungen werden nicht wegen jeden 
Verfahrensmangels für ungültig erklärt. Er meint, solange die 
gewöhnliche und die Verfassungsgesetzgebung von den gleichen 
Organen ausgeübt wird, leide auch das inhaltlich verfassungs- 
widrige Gesetz nur an einem Verfahrensmangel: es sei ein ver- 
fassungswidrig zustandegekommenes Verfassungsgesetz, ohne darum 
ungültig zu sein. Hierzu wäre zu sagen, daß es sich für mich 
nur um das Prüfungsrecht des Richters handelt; ob und unter 
welchen Voraussetzungen der Richter eine Verfassungswidrigkeit 
annimmt und welche Rechtsfolgen er daraus zieht, ist eine zweite 
Frage, die nach Lage des geltenden Rechts, insbesondere des 
fraglichen Verfassungsrechts zu beantworten ist. M. E. hätte 
z. B. der Richter auf Grund des Art. 61 preuß. Verf. jedes nicht 
verfassungsmäßig zustandegekommene Gesetz als unverbindlich zu 
erklären, weil nach dem Wortlaut und Geist jener Vorschrift ein 
Gesetz nur im Falle verfassungsmäßigen Zustandekommens „ver- 
bindlich* ist. Ein materiell verfassungswidriges Gesetz ist nichtig. 
Daß die Ausfertigung die formelle Prüfung des Richters ausschließt, 
ist aber zu bestreiten, da keinerlei Begrenzungen für ein einmal 
angenommenes richterliches Prüfungsrecht in unserem geltenden 
Rechte zu finden sind. 
Eine ganz andere Frage ist es, ob rechtspolitisch damit eine
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.