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erwünschte Lage geschaffen ist. Es lassen sich sehr wesentliche
praktische Gründe dafür anführen, daß das formelle Prüfungs-
recht zu wenig erwünschten Folgen führen würde, ja zu einer
starken Unterbindung der Rechtspflege, wenn dem Richter die
Kontrolle des Gesetzgebungsverfahrens angesonnen und der, be-
sonders auf Prozeßverschleppung abzielenden Partei die Möglich-
keit gewährt werden würde, den Richter zur Untersuchung der
Korrektheit aller Stufen des Weges der Gesetzgebung zu veran-
lassen.
Mir würde der Gedanke einer gesetzlichen Anerkennung des
materiellen Prüfungsrechts am meisten einleuchten unter der Vor-
aussetzung, daß dieses Recht dem Reichsgericht oder dem Reichs-
verwaltungsgerichtshof oder dem Staatsgerichtshof vorbehalten
bleibt. Denn es ist schon so, daß der Widerstand gegen die
Anerkennung des richterlichen Prüfungsrechts, mehr oder minder
bewußt, auch von der geistigen Strömung getragen wird, daß die
gesetzgebende Gewalt nicht unter die richterliche gebeugt werde
— obwohl m. E. jene sich der Kontrolle der letzteren, wie dar-
gelegt, grundgesetzmäßig unterworfen hat —, noch mehr vielleicht
von dem Widerwillen gegen die Machtvollkommenheit auch des
jüngsten und unerfahrensten erstinstanzlichen Richters, die Staats-
akte der vom souveränen Volk bestimmten Volksvertretung zu
kontrollieren. Mit der Entscheidung durch jene höchsten Gerichte
würde man sich abfinden. Den Vorschlag, den Reichsverwaltungs-
gerichtshof oder den Staatsgerichtshof entscheiden zu lassen, habe
ich bereits auf dem Deutschen Juristentag zu Bamberg (September
1921) gemacht.
Die Reehtsprechung der jüngsten Zeit neigt sehr zur Be-
jahung des richterlichen Prüfungsrechts gegenüber Gesetzen und
Rechtsverordnungen. So insbesondere der Strafsenat des Kammer-
gerichts im Urteil v. 26. November 1920, Preuß. VerwBl. Bd. 42
S. 294 ff., auch Jur. Wochenschrift 1921 S. 587 ff. mit An-
merkung von WALDECKER; in Uebereinstimmung mit dieser und