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bungen jetzt und weiterhin in der Vornovemberlehre von den
Polizeisymbolen der „Verwaltungshoheit“ als
wesentlicher Begriffsmerkmale der letzteren. Da diese Lehre einen
großen Teil ihrer Widerstandskraft aus einer gewissen gegenwarts-
dogmatischen, geschichtsfeindlichen Auslegung der bestehenden
Gesetzgebung schöpft, so verlohnt es sich, dieses Auslegungsver-
fahren für den Bereich des geltenden Reichspostrechts hier ein-
gehender zu beleuchten.
Vorerst das Eine: Gerade im Postrechtsbereich macht sich
gegenwärtig eine Uebergeschäftigkeit der Gesetzgebung geltend,
die eine Einschätzung des Gegenstandes unter rein gesenwarts-
dogmatischen Gesichtspunkten vollauf zu gestatten, ja zu fordern
scheint. Indessen nur bei oberflächlicher Betrachtungsweise. In
Wirklichkeit ist die ruhende Grundlage dieser ganzen Gesetzgebung
‚heute so gut wie vordem noch immer das Reichspostgesetz
1871 (RGBl. S. 347), und jeder scheinbar modernste Schritt der
Post- und Telegraphenlegislatur trägt, gründlich geprüft, noch
immer die Spuren vom Geiste jenes alten Reichsgesetzes °.
Aber — und hier setzt die historische Rechtsauslegung ein
— dieser Geist ist noch nicht einmal ursprünglich dem Reichs-
postgesetz 1871 eigen. Nur eine seiner Erscheinungsformen ist
gerade dieses Gesetz. Er selbst ist viel älter und, rückwärts ver-
folgt, gehen dem Reichspostgesetz 1871 als analoge Erscheinungs-
formen vorauf:
das Bundespostgesetz 1867 (BGBl. S. 61),
» preußische Postgesetz 1852 (GS. 8. 345),
5 Besonders auffällig ist insoweit, daß der Zuständigkeiten-
katalog der RPostO. im $ 50 RPostG. 1871, obwohl ohne Enumerations-
charakter im Rechtssinne und auch sonst als systemverfehlt erwiesen,
dennoch von der Folgelegislatur unbedenklich übernommen ist und noch
heute übernommen wird; s. Postscheck@. 26. 3. 14 (RGBl. 8. 85) $ 10,
FernsprechgebührenO. 20. 12. 99 (RGBl. S. 711) $ 10, Telegr@ebührenG
8.9. 19 (RGBl. 8.1522) 8 2 und die jüngsten Erneuerungen dieser Gesetze.
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