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Zivilgerichte noch in Ööffentlich-rechtlichen Streitfällen, dabei be-
sonders in Post- und Telegraphenangelegenheiten leider vielfach
ohne das Bewußtsein ihres innen-rechtsgeschichtlich begründeten
Vikariats für nicht vorhandene Reichsverwaltungsgerichte. Die
praktische Judikatur sieht nun einmal, schon aus Zeitmangel, nur
mit dem gegenwartsdogmatischen Auge und steht zudem auf der
überlieferten Grundlage der Anschauung vom Unterschied zwischen
„herrschender“ und „dienender“ Verwaltung ®. Es unterstützt sie
der unüberwindliche Fiskusbegriff, selber doppelt belastet mit
seiner inneren Üeberspannung — „semel ceivis semper civis® —
und außerdem mit der Verkehrung einer ursprünglich rein
prozessualen Fiktion (um überhaupt den Staat vor die
s. Zt. allein vorhandenen und denkbaren Zivilgerichte bringen zu
können) in ein materielles Reehtsverhältnis: als ob
der Staat in einzelnen seiner Verwaltungen den character indele-
bilis der öffentlich-rechtlichen Hoheit einbüßen könnte oder müßte,
nur weil er in seiner Verwaltungsfunktion häufiger oder seltener
das Bürgerkleid des Agerius oder des Negidius über dem Purpur
der maiestas populi anzulegen hat.
In summa: selbst nach der überlieferten, vielleicht schon
überlebten Formel „Hoheitsrecht = Polizeigewalt“ braucht man
den öffentlichen Rechtscharakter der Post- und Telegraphenver-
waltung nicht zu leugnen, sofern man nur die rechtshistorische
Sachlage zutreffend würdigt. Erst recht nicht, wenn man sich
entschließt, öffentlich-rechtliche Eigenschaft den Akten des Staates
und seiner verfassungsrechtlich bestellten Organe grundsätzlich
überall da zuzuerkennen, wo der Staat, das Gemeinwesen, auftritt
in der Wahrnehmung des durch die Verfassung von Fall zu Fall
25 Inzwischen scheint aber auch hier eine neue Auffassung sich anzu-
melden: ein RGerErk. f. ZivilS. vom 30.1. 20 (426/19) gelangt, abseits von
dem bisher allein für gangbar gehaltenen Wege über die Fiskustheorie,
zur Aufstellung einer selbständigen Haftung der Zollverwaltung gegenüber
dem Publikum allein aus öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten heraus;
vgl. VerkehrsRdsch. Berlin 1921 Sp. 124.