— 292 —
SCHELCHER wird sich auf G. JELLINEK berufen. In der Tat
begegnet uns in dessen Werke „Gesetz und Verordnung“ ®! ein
Gedankengang, mit dem SCHELCHERs Darlegung im wesentlichen
übereinstimmt. Allein G. JELLINEK hat die Ansicht, daß das
Volk als Gesamtheit der Staatsbürger in der repräsentativen Repu-
blik nicht die Fähigkeit habe, einen gültigen Willen zu äußern,
später in seiner „Allgemeinen Staatslehre* ®® ausdrücklich aufge-
geben. Er vertritt nunmehr die Meinung: ®?® „Im Staate mit
Repräsentativverfassung ist das Volk als einheitliches Staatselement
zugleich objektives Staatsglied, kollegiales Staatsorgan, oder noch
genauer ausgedrückt, derjenige Teil des Volkes, dem verfassungs-
mäßig die Ausübung staatlicher Funktionen in geringerem oder
größerem Umfange zukommt. Einen Teil der Funktionen übt es
selbst, den anderen durch einen Ausschuß aus, der als Organ des
Volkes zugleich Organ des Staates selbst ist.*
Nach G. JELLINEK ®* beruht die demokratische Republik „auf
der Stellung der Volksgemeinde als höchsten Staatsorganes“. Das
gilt nicht bloß von der rein repräsentativen demokratischen Re-
publik 8°, sondern erst recht von der repräsentativen demokratischen
wille ist einmal eine soziologische Erscheinung gemeint, sie interessiert
uns nicht; nur soviel sei bemerkt, daß nicht von einer Willens-
übereinstimmung aller Volksangehörigen die Rede sein kann. Ein Volks-
wille in anderem Sinne kommt durch einen juristischen Prozeß zustande,
dadurch, daß eine Gesetzesvorschrift den objektivierten Willen bestimmter
Menschen nicht diesen Menschen, sondern der Volksgemeinschaft zurechnet.
Dieser Volkswille ist ein gesetzlicher Zurechnungsbegriff. Hier von Fiktion
zu sprechen, fördert die Erkenntnis nicht. Der Jurist behauptet gar nicht
Identität des Willens der bestimmten Menschen mit dem Volkswillen im
soziologischen Sinne, auch nicht, daß der Wille der bestimmten Menschen
der Wille aller Volksgenossen sei. Damit erledigt sich auch das, was
SCHELCHER a. a. O. S. 343 Anm, 2 geltend macht.
sı 5. 209.
82 (3) S. 588.
ss Hbenda S. 585.
*A.2.0.8. 717.
»s S. 726 bei Anm. 1.