Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

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Die große Bedeutung der Unterscheidung von Urteils- und 
Handlungsnormen beruht darin, daß mit ihrer Hilfe manche wichtige 
Rechtserscheinungen erst erklärt werden können. Ein vortreflliches Bei- 
spiel dafür bilden die Begriffe Gesetzmäßigkeit und Gesetzwidrigkeit. 
Beide werden nicht nur auf menschliche Handlungen, sondern auch auf 
andere rechtlich erhebliche Tatbestände wie Eigenschaften, Zustände, Er- 
eignisse der lebenden wie der leblosen Welt angewendet. Wer keine ge- 
setzlichen Urteilsnormen, sondern nur Handlungsnormen kennt, kann als gesetz- 
mäßig oder gesetzwidrig nurmenschliche Handlungen, und zwar nur die gesetz- 
lich gebotenen oder verbotenen, bezeichnen und muß alles übrige als gesetzlich 
indifferent erklären. Erst die Urteilsfunktion bietet die Möglichkeit, vom 
Standpunkt des Gesetzgebers aus alle rechtlich erheblichen Tatsachen, also 
auch Eigenschaften, Zustände, Ereignisse, als gesetzmäßig oder gesetz- 
widrig zu qualifizieren, je nachdem der Gesetzgeber die fragliche Tatsache 
billigt oder mißbilligt. Diese Feststellung bleibt unbeeinflußt durch den Um- 
stand, daß die beurteilten Tatsachen nıcht um ihrer selbst willen, sondern 
nur mit Beziehung auf Personen vom Gesetzgeber gebilligt oder mißbilligt 
werden, andernfalls die Tatsache in den gesetzesfreien (rechtsleeren) Raum 
fällt. Ein nicht minder beachtenswertes Beispiel ist die nun erst mög- 
liche Unterstellung der erlaubenden Gesetzessätze unter den Rechtsbegriff. 
Vom Standpunkt der Imperativnorm ist eine gesetzliche Erlaubnis recht- 
lich indıfferent. Nur die Urteilsnorm erklärt den Rechtscharakter der Er- 
laubnisse. Erlaubnisse sind solche Urteilsnormen, in denen das Gesetz das 
freie Belieben hinsichtlich eines bestimmten Verhaltens billigt, also weder 
gebietet noch verbietet. Natürlich muß auch hier eine Beziehung zu einem 
Imperativ gegeben sein; sie besteht darin, daß sich an das erlaubte Han- 
deln eine Rechtspflicht anderer Personen anknüpft, andernfalls wäre das 
Belieben rechtlich indifferent. Diese Ausführungen weichen von den seit- 
her üblichen Definitionen der Erlaubnis ab, sind aber durch trefiende Gründe 
gerechtfertigt. 
Im Anschluß an diese Aufstellung und Begründung seiner eigenen 
Normentheorie nimmt W. zu den bisher vertretenen Theorien über 
die Normennatur des Rechts kritisch Stellung. Er unterscheidet 
die Theorien, die dem Recht nur eine Gedankenart zuerkennen, nämlich 
entweder nur die Form des Imperativs (Tmon, BIERLING, HoLD voN 
FERNECK) oder nur die Form des Urteils (früher ZITELMANN), und die 
Theorien, die dem Recht zwar mehrere Arten von Gedanken zuschreiben, 
jedoch über ihre Arten und deren Verhältnis zueinander nicht klar und 
einheitlich sind (MERKEL, MAIER, SCHOETENSACK, besonders SoMLO). Die 
Polemik ist sachlich, die Kritik treffend. Natürlich ist bier nicht der Ort, 
auf die scharfsinnigen Deduktionen W.' näher und mit eigener Kritik ein- 
zugehen. Es sei nur festgestellt, daß W. alle Argumente seiner Gegner 
trefflich auszuwerten weiß, um seine eigene Auffassung zu behaupten und
	        
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